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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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Feuerzeuge, silberne Feuerzeuge, Handys, an denen pinkfarbene Kuscheltiere hingen. Ich durfte die Mädchen angucken, sie hatten es, so glaubte ich, sogar ganz gerne, dass der Reporter sie sich so ausgiebig ansah. Beide hatten ihre Füße, die in kurzen Socken, den sogenannten Söcklingen, steckten, auf die Bank gegenüber gelegt, ihre Ballerinas lagen auf dem Boden. Beide Mädchen, vielleicht achtzehn Jahre alt, boten derartig topfitte, mit grandioser Präzision gestylte, getunte, polierte Anblicke – nesquik-farbene Gesichter, viel Lidstrich und Kajal, schreiend rosa Lippenstift, dazu weißer Glitzer in den Wimpern. Sie trugen Jeans und Sportkleidung in den Farben Kreischweiß, Brüllgelb und Jaulrosa, und beide Mädchen aßen, während sie auf ihren Handys herumdrückten, Reiscracker. Das eine Mädchen stippte ihren Cracker in eine Packung heftig stinkenden Frühlingsquark hinein, wobei es ihre Art war, die Reiscrackerstücke, an denen der Frühlingsquark klebte, mit einem irgendwie provokanten, einem sexuell provokanten Zungenroller in ihren Mund hineinzuschnalzen. Das andere Mädchen klärte derweil am Handy mit einer Freundin, die wohl in einem anderen Regionalexpress durch die Gegend gondelte, die Umstände einer Party, die am Abend steigen sollte. Der Reporter war begeistert.
     
    Beim Einsteigen hatte ich ein für jeden Spiegel – Redakteur auf den ersten Blick erkennbares Neonazi-Paar gesehen. Zwei fesche junge Leute. Er trug weinrote New-Balance-Turnschuhe, Ben-Sherman-Hemd, karierte Skatershorts, gemäßigt kurze Haare. Ihre Grundfarbe war rosa. Sie wirkten dumm und stumpfsinnig, aber nicht gefährlich – die Sorte gemäßigter und moderner Nazis, die in Handyläden oder Supermärkten arbeiten konnte. Ein Proll, der teuer gekleidet ist, das dachte man, sah noch gemeiner aus als die Prolls mit preiswerter Kleidung.
    Er: »Watt machste so im Urlaub?«
    Sie: »Na, langweilen.«
    Sie sprachen leise: viel »Weeßte« und »Wa« in ihrer Unterhaltung, aber auch ein merkwürdig altmodisches Heinz-Rühmann-Film-Vokabular mit Worten wie »Hinz und Kunz«, »Firlefanz« und »Fisematenten«. Als beide aufstanden, konnte man auf den Gesäßtaschen seiner Shorts in Zehn-Zentimeter-Runenschrift das Logo des Neonazi-Labels Thor Steinar lesen.
     
    Der im Brandenburger Regionalexpress am häufigsten anzutreffende Jugendliche aber war kein Neonazi, sondern der introvertierte, ganz mit sich selbst beschäftigte Langhaar-Jugendliche, wohl eine Weiterentwicklung des Provinz-Hippies aus den Siebzigerjahren. Man würde heute sagen: der World-of-Warcraft – Mittelalter-GauklerKiff-Öko-Schluff-Schüler. Da saß er, mit weichen Stoffen wie Nicki, Cord und Samt bekleidet und mit Lederkordel um den Hals, und las ein Taschenbuch über Verschwörungstheorien oder ein Taschenbuch mit dem ironischen Dufte-Titel Die bekloppte Republik . Die Neonazis hatten für diesen Typ Mitreisenden keinen Blick übrig.
    Eine Viererbank weiter führte ein junger Mann, der beide Sitzbänke für sich allein beanspruchte, vor, wie man sich maximal effektiv allen außerhalb seines Kopfes stattfindenden Vorgängen verschloss: Kappe auf dem Kopf, zusätzlich eine Kapuze über der Kappe. Sonnenbrille. Stöpselvom MP3-Player in den Ohren. Arme verschränkt. Turnschuhe auf der Bank gegenüber, Rucksack auf dem Schoß. Ohren dicht, Augen dicht, Kopf dicht, alles zu. Auf seinem Kapuzenpullover waren Totenköpfe, Drachen und ähnlich billiger Ramsch abgebildet.
    Eine Frau, zwischen 30 und 50 Jahre alt, fing an, ihre Haare mit heftigen Bewegungen nach hinten zu bürsten. Es sah wie eine Selbstbestrafung aus. Aua. Auf wen hatte diese Frau diese Stinkwut?
     
    Umsteigen in Oranienburg: »Willkommen in der Stadt der Landesgartenschau.« (Lustig, weil Oranienburg ja eindeutig nicht die Stadt der Landesgartenschau, sondern des Konzentrationslagers Sachsenhausen war.)
    Die ab Oranienburg fahrende Bahn hieß Regioshuttle RS 1 oder Prignitzer Eisenbahn, kurz Prignitzer genannt, und hatte nur zwei Türen. Die Diodenanzeige sagte an: »RB 12 Templin Stadt. 08.05. 14:14. Nächster Bahnhof Sachsenhausen Nordbahn.«
     
    Motherfucking Birkenwerder.
    Motherfucking Sachsenhausen.
    Motherfucking Nassenheide.
    Motherfucking Grüneberg.
    Motherfucking Löwenberg.
    Motherfucking Bergsdorf.
     
    Ziegen.
    Pferde.
    Ponys.
    Wie jämmerlich und heruntergekommen so eine Weide, auf der ein Pferd herumstand, aussah.
    Es sah das Land, das draußen vorbeifuhr, wie das Land aus, dem es

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