Deutschboden
ich mir den Sinn meines Aufenthalts in der Kleinstadt noch einmal vor Augen zu führen. Ich sah nichts. Ich kam auf nichts. Ich konnte nichts erkennen. Das war das Schlimme und das Schöne zugleich: Es gab keine Geschichte, nur den Ort, an dem die Geschichte hätte spielen können. Wir mussten alle weitermachen wie bisher: so weiter. Nach nicht mal zwei Minuten saßen wir wieder in den Autos, auf dem Weg zur Hauptstraße.
[Menü]
15 Franky’s
Auf der Hauptstraße verabschiedete sich Crooner. Er müsse morgen um sieben raus: Termine. Auch Eric war müde. Raoul und Rampa waren noch auf ein Bier dabei. Die Frage war: Wo gab es dieses Bier?
Die Rollläden der Alten Eiche am Marktplatz waren dicht. Die Rollläden vor der Kneipe Schröder waren dicht. An der Bierfasstür hing ein Plakat: Oldie-Party am 23. Mai. Selbst die Eiche am Rathaus war menschenleer. Wir standen auf der Spandauer Straße und schauten links und rechts, die Straße rauf und wieder runter. Rampa sagte: »Franky’s.«
Raoul antwortete: »Nützt nichts.
Dann esse ich da noch einen Cheeseburger.«
Rampa: »Jetzt wird abgekackt.«
Wir gingen Richtung Brücke. Auf dem Weg durch die Stadt bat ich die Jungs, mir einen Überblick über die Oberhaveler Kneipenszene zu verschaffen. Die Frage mochten sie. Gaststätte Schröder?
Rampa: »Das ist die Urkneipe. Da habe ich schon als Zweijähriger gesessen und meinen Sprudel getrunken.« »Für uns ging alles, alles im Schröder los«, erklärte Raoul. »Man fängt mit Cola im Billardraum im ersten Stock an. Bis man dann irgendwann unten mit am Tresen steht.«
Jede gute Geschichte in Oberhavel, so Raoul, fange im Schröder an, und jede bessere Geschichte höre auch dort auf. Das Schröder, so Raoul und Rampa, sei das N24, die Informationsbörse von Oberhavel. Wenn irgendetwas in der Stadt passiere, dann erfahre man es als Erstes dort. Vater Hansi und Sohn Heiko, die Betreiber des Schröder, seien schwer korrekte Leute: »Wenn du dich mit diesen Leuten nicht verstehst, dann bist du echt bescheuert.« Der Hansi, so Rampa, sei schon zu DDR – Zeiten ein harter Hund, ein Sturkopf und ein Schlaukopf gewesen. Ein naher Verwandter von Hansi, so erzählten Gerüchte in der Kleinstadt, habe heute noch Hausverbot, weil er bei derStasi gewesen sei: »Musst mal den Hansi selber fragen. Erzählt er dir.«
»Ich wüsste gar nicht, wo ich hin sollte, wenn es das Schröder nicht gäbe«, wiederholte Rampa, und kurz bekam ich Angst, dass die beiden Jungs nun eine Stunde lang nicht aufhören würden, über die Kneipe Schröder zu erzählen, so sehr genossen sie es, sich selber über die Kneipe Schröder reden zu hören. »Sagen wir so«, erklärte Raoul, »wenn du im Schröder Hausverbot hast, dann kannst du die Stadt verlassen.«
Die Alte Eiche?
Das andere große Lokal neben dem Schröder, aber eben die zweite Adresse im Ort. Die Eiche sei das dunklere der beiden Lokale: Dort träfe sich die Halbwelt, die Spieler, die Trickser, die Einäugigen und die mit den Stirnbändern, Bärten und Schlapphüten auf dem Kopf. Raoul: »Manchmal sieht’s da wirklich aus wie im Spaghetti-Western.« Rampa: »Ich habe mal drüber gewohnt, ich muss es wissen: Es ist nicht unbedingt die High Society, die sich dort trifft.« Vom Tresen bis zu den Stammgästen sei in der Eiche noch viel alte DDR zu besichtigen. Raoul: »In der Eiche treffen sich vor allem die, die ein bisschen traurig darüber sind, dass es die DDR nicht mehr gibt, während sich im Schröder alle anderen, ganz gleich ob fröhlich oder nicht so fröhlich, treffen.« Wirt Bodo mache bisschen einen auf Siebzigerjahre-Rocker los, ein Typ, der gerne mal die Eagles und die Rolling Stones auflege. Dieser Bodo sei, wie Hansi und Heiko, ein grader und ein zuverlässiger Typ.
Das Haus Heimat?
Raoul und Rampa lachten, als sie hörten, dass der Reporter sich dort eingemietet hatte: Ja, warum auch nicht. Den Preis von zwanzig Euro pro Nacht fanden sie jedenfalls fair. Der Wirt Wilfried Finster, das hätte ich ja wohl schon gemerkt, mache seinem Namen alle Ehre: ein finsterer Geselle. Als Wirt vollkommen ungeeignet. Er vergraule seine Gäste.
Ich widersprach: Mit dem Wirt habe ich bisher noch keine Schwierigkeiten gehabt. Dann schwärmte ich von Finsters Bedienungsmädchen, der Donnerbusen-Frau Maria.
Rampa kannte sie nicht. Raoul konnte es nicht auf sich sitzen lassen, eine Frau, zumal eine mit Donnerbusen, die in Oberhavel Bier zapfte, nicht zu kennen. »Natürlich«,
Weitere Kostenlose Bücher