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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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Der Ernst, die Entschlossenheit, die Hingabe, mit der die Jungs in ihrem Sound drinstanden, war schlichtweg großartig. Und natürlich war es bewegend zu erleben, wie vier Härtefälle aus Oberhavel den zarten, den offenen, den noch nicht benannten Kräften – die jede Musik, gerade die angeblich harte, ja immer haben musste – einen Ausdruck gaben.
    Wer sich für die Musik entschied – Entschuldigung, aber das dachte ich, während ich die vier Oberhaveler ihren Shit herunterspielen hörte – der konnte kein komplettes Arschloch sein, der hatte die Welt noch nicht aufgegeben.
     
    Sie gingen weiter durchs Programm, spielten noch vier, fünf Songs, es waren schnelle Punkrock-Nummern dabei, die Raoul mit Eins-Zwei-Drei-Vier am Schlagzeug anzählte, und es gab balladenartige Songs, bei denen Crooner sich ins Zeug legte, und zwischendrin verspielten sie sich und stritten sich und bezichtigten sich gegenseitig der Patzerei, und dann kamen sie zum Sofa und holten sich neue Biere und mixten sich neue Drinks und fingen mit den Songs wieder von vorne an. Ich trank und lachte und klatschte und schrieb mit und merkte, dass dieser Abend wie schon der erste Abend mit Raoul natürlich wieder ein hammerharter Alkoholabend werden würde.
    Eric riss nun, mit einem Blick über seine Schulter, der seinem Bruder galt, die ersten Akkorde von People Who Died von der Jim Carroll Band an. Den Blick vom Gitarristen zum Schlagzeuger – der sah zu gut aus, er saß so gut wie sonst keine Geste bei dieser Probe: Den musste sich Eric von einem Konzert oder einem Musikvideo abgeschaut haben.
    Und dann lärmte Erics Gitarre los, und der Song brach mit der Kraft, den nur die einfachsten Songs haben, nach vorne. Es war ihr mit Abstand bester Song. Sie hatten ihn schon oft gespielt. Sie fühlten sich pudelwohl damit. Der Song schien direkt aus ihrem Leben zu kommen, er passte zu der Band, zu ihren Gesichtern, Kappen, ihren Turnschuhen. Die Band war sich so einig mit diesem Song, dass sie ihn mit einer Spur Nachlässigkeit und den spöttischen Gesichtern aufführen konnte, die aus dem Song mehr als einen Song machten: zu einer Vertonung der Gegenwart, in der die Jungs steckten, einem Soundtrack ihrer Leben, einer Hymne.
     
    1980 hatte der New Yorker Junkie und Dichter Jim Carroll mit People Who Died ein Fazit seines damals erst dreißig Jahre alten, gefühlt aber schon hundertjährigen Lebens gezogen. Es war, komischerweise, kein wei ter Weg von jenem New York um 1980 ins Oberhavel der Gegenwart. Crooner sang:
    Teddy sniffing glue, he was 12 years old
    Fell from the roof on East Two-Nine
    Cathy was 11 when she pulled the plug
    On 26 reds and a bottle of wine
    Bobby got leukemia, 14 years old
    He looked like 65 when he died
    He was a friend of mine.
     
    Im Folgenden riss Crooner die Schicksale von zwanzig Freunden herunter, die alle auf die beiläufigste und sinnloseste Art zu Tode gekommen waren. Der Refrain sagte: Es waren alles seine Freunde, und sie starben.
    Ich trank das Bier aus und goss mir, um mit dem Bums der Sache mithalten zu können, einen Wodka in einen Pappbecher.
    Rampa sagte: »Probeabschlussbier.«
    Es bedeutete, dass die Instrumente eingepackt, die Fenster geschlossen, die Lichter ausgeknipst wurden. Dann ging es Hopplahopp runter zu den Autos.
    Raoul sagte den großen Satz: »Wer von uns ist noch nüchtern? Beziehungsweise, wer von uns ist auf die Art besoffen, dass er denkt, er sei noch so nüchtern, dass er noch fahren kann?«
    Die Jungs verteilten sich auf die Autos, zwei in Erics Astra, zwei Jungs und der Reporter in Crooners Skoda. Es war gegen halb zwölf nachts, die Band so fit, wie der Reporter erledigt war: Zeit, nach den paar Bieren, die wir hatten – so der Vorschlag der Jungs –, irgendwo ein paar Bierchen trinken zu gehen.

[Menü]
14 Disko im Wald
    Vor uns fuhr Erics Auto: der alte Astra. Wir schossen im Abstand von zehn Metern hinter ihm her, mit gut hundert Stundenkilometern, die strichgrade Bundesstraße hinunter, quer durch den Russenwald. Der Mond beschien die Birken und Kiefern. Der weiße Mittelstreifen auf der Fahrbahn. Es wurde geschwiegen. Raoul klapperte mit CDs im Handschuhfach. Der Reporter sagte, dass ihm das Dorf Kurtschlag soweit ganz gut gefallen habe: »Schönes Kopfsteinpflaster. Oder so.« Antwort im Skoda: »Nee. Kopfsteinpflaster mögen wir nicht. Glatt und eben sollen die Straßen sein.« Und wir schossen weiter.
    Als links am Wegesrand das Hinweisschild »Deutschboden« auftauchte,

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