Deutschboden
viel, sei alles andere als faul: »Der verdient gut. Siebenhundert kriegt der vom Amt. Eins sechs, eins sieben macht der nebenbei. Macht im Monat etwa zwei fünf zum Ausgeben. Wohnung und Strom kommen ja auch vom Amt.«
»Nein«, sagte Raoul, »Schwarzarbeit ist das Beste, was du machen kannst. Anders gesagt: Es kann nicht klug sein, auf die Hälfte der Kohle zu verzichten. Das Doppelte zu verdienen ist doch besser als die Hälfte.«
Raoul, an seinem Schlagzeug sitzend, wendete sich auch direkt an den Reporter: »Das hat auch noch andere Gründe. Ich kenne kein Gewerbe, in dem die Zahlungsmoral so schlecht ist wie beim Bau.«
Eric: »Es ist wirklich ein Zittern von Monat zu Monat.«
Raoul: »In keinem Gewerbe musst du drei, vier Monate auf dein Geld warten, das muss keine Krankenschwester, kein Verkäufer. Nur die am Bau.«
Der Reporter fragte Rampa, ob die Schwarzarbeit in Oberhavel gesellschaftlich akzeptiert sei.
»Vollkommen«, sagte Rampa. »Du wirst schief angesehen, wenn du’s nicht machst.«
Der Reporter fragte Rampa und Raoul, warum sie, trotz dieser Einstellung, auf Schwarzarbeit verzichteten. Raoul, grinsend: »Zu faul.« Rampa: »Hör zu, Reporter.« Er sprach leise. »Was Schwarzarbeit angeht, wirst du von uns immer nur eins hören: Wir sind keine Arschlöcher. Wir arbeiten nicht schwarz. Aus. Feddich.«
Raoul: »Man hat das eben ganz früher mal gelernt, dass Schwarzarbeit verboten ist. Da halten wir uns dran.«
Ich hörte einer Punkrockband aus Oberhavel zu, die, anstatt ihre Instrumente zu bedienen, über Schwarzarbeit und die volkswirtschaftlichen Folgen für Deutschland debattierte. Abstrakt.
Und dann legten sie los.
Sie spielten höllenlaut.
Es klang gleich ziemlich gut.
Und es klang dann auch gleich ziemlich scheiße, wie so oft bei halb professionellen Rockbands, weil natürlich keiner der Jungs sein Instrument auch nur ein bisschen besser als notdürftig spielen konnte.
Ich war gleich absolut begeistert.
Der Kick, der einen jedes Mal aufs Neue traf, wenn die große Maschine loslegte, die aus Schlagzeug, Gitarre,Bass und Gesang bestand: Für diesen Kick musste eine Band ja nicht gut, nur laut spielen und mit grandioser Begeisterung für sich und ihre Sache dabei sein. Wer sich die klassische Rockband ausgedacht hatte, das bekam der Zuschauer hier noch einmal vorgeführt, der hatte sich etwas ausgedacht, an dem kleine Jungs bis ans Ende aller Zeiten ihre Freude haben würden, wie an lauten Motoren, an Prügeleien, an großen Busen oder Steaks mit roter Soße: einfach, weil es so reinhaute, so knallte, so nach vorne ging.
Das Stück hieß Nothing is Fine , es war, wie Raoul erklärt hatte, eine Eigenkomposition. Es gab einen Tempowechsel. Das Solo war, wie sich das für eine Punkband gehörte, kurz. Eric spielte eine Art Tote-Hosen-Gitarre: Es knarrte, knurrte, knuffte, ruckelte, zuckelte und rumpelte. Eric war der, der mit seinem Instrument fast die Hälfte des Sounds ausfüllte. Wenn der Gitarrist sich verspielte oder hängen blieb, dann drehte er dem Rest der Band den Rücken zu: als müsse er das bisschen technische Versiertheit, das ihm als Gitarrist zur Verfügung stand, vor den anderen schützen. Rampa wirkte zu breit, zu kräftig für sein Instrument. Sein Bass hing tief, beinahe auf Kniehöhe. Manchmal sah man Rampa an, dass er nicht wusste, welches Gesicht er zu der Tatsache aufsetzen sollte, dass er der Bassist einer Rockband war. Vielleicht war es ihm sogar peinlich. Raoul führte sich absolut souverän an seinem Schlagzeug auf. Das Instrument stand ihm. Dass Raoul schwitzte am Schlagzeug, stand ihm auch gut. Er war wohl ein ziemlich guter Schlagzeuger. Crooner hielt beim Singen Bierflasche und Zigarette in der rechten Hand. Wenn er richtig loslegte, schwoll eine Ader an seinem Hals an. Das sah gut aus. Überhaupt legte Crooner eine Menge Leidenschaft in seinen Gesang, er dosierte es gut, es wirkte nicht wehleidig und nicht lächerlich. In besten Momenten klang Crooners Stimme wie die von James Dean Bradfield von der englischen Band The Manic Street Preachers, in anderen Momenten wie Robert Smith von The Cure. Im Refrain von Crooners Texten hieß es: »Where is the satisfaction/Where is the sense/Where is the start/And where is the end«. Das Fazit des Songs lautete: »This life is not mine/And nothing is fine«. Du lieber Himmel, ja.
Der Reporter schämte sich gleich ein bisschen, wie er da auf seinem verdreckten New-Wave-Sofa saß und begeistert war.
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