Deutschboden
Fernseher glühte, vor allem in der Zeit zwischen eins und drei, nicht auch manchmal ein bisschen einsam werde hier oben, in der Medien-Kommandozentrale über der Kneipe Schröder, so wollte der Reporter wissen.
»Klar«, sagte Raoul. Und der nächste Satz kam vollkommen ansatzlos – wunderbares Oberhaveler Sprechtheater: »Manchmal hätte man schon gerne was zu ficken.« Und als wäre es ein Thema, über das der Mensch seit jeher ohne Scham und sonst irgendwelche Probleme hätte reden können, schob Raoul seine Kappe nach hinten und sprach ernst, frei und ohne die Zustimmung seines Zuhörers haben zu wollen: »Is’ klar. Aber weeßte …«, er zeigte in den Bildschirm, »dafür gibt es ja auch das Internet. Da finde ich auf einer Seite garantiert mehr hammermäßig geile Weiber, als ich in einer Woche ficken kann.«
Ich hielt den Olympus-Stick in der Hand. Raoul blickte weiter in den Computer. Und auf eine gut machbare, weil offene, ungestresste, komischerweise nicht eklige und unaufdringliche Art fuhr Raoul fort, die Praxis seiner Sexualität aufzuerzählen. Er schwärmte von Youporn, dem Klassiker unter denInternet-Pornoseiten. Onanieren hieß bei ihm Wedeln, Schütteln, Flitzen, das waren, so empfand es der Reporter, allesamt gute, weil bildliche, trotzdem nicht eklige Begriffe. Na klar, so Raoul, seine Sexualität lande fast komplett im Internet, so handhabten es praktisch alle Jungs hier in der Kleinstadt, das sei doch auch normal, er, Raoul, wollte gerne wissen, ob das irgendwo anders sei.
Ich hielt dagegen, dass es theoretisch ja auch möglich sei, nicht zu wichsen, sondern ganz in echt mit einer Frau zu schlafen.
Und Raoul entgegnete, wieder nachvollziehbarer- und richtigerweise, dass die beiden Dinge, eine Freundin und die Pornografie im Internet, ja so oder so unabhängig voneinander stattfänden. Man könne doch beides haben: die Freundinnen und die Frauen im Internet. Und, ganz ehrlich, eine Freundin halte ihn nicht davon ab, sich auf die Filmchen auf Youporn einen zu wedeln. So wie die Frauen im Internet ja selbstverständlich auch kein Ersatz für die Frau seien, die sich beim Einschlafen neben einen lege.
Hoppla. Und: Uff. Ich war schon wieder beeindruckt. Das hatte ich noch nicht erlebt, dass man – unter Männern – so einfach, und ohne durch Übertreibung, Gags und Angeberei, auf Nummer sicher zu gehen, seinen Sexualitäts-Shit auf den Tisch legen konnte. Raoul war es nicht um eine Moral, sondern wirklich nur darum gegangen, den Alltag seiner Fickereien zu schildern. Bravo.
Ich sah noch einmal, während ich ihm so zusah, dass Raoul jede Art von direkter Angeberei, in Sprache, Körpersprache, Gestik, abging. Er ließ das ganz. Er drücktenicht. Er gab sich nicht hart. Er hatte das wirklich, wie es so schön hieß, nicht nötig.
Dieser Raoul bezog seine Autorität dadurch, dass er um die Wirkung seiner Kräfte wusste und dass er mit dieser Wirkung haushielt. Es hatte dieses stille und kluge Selbstvertrauen natürlich eine spektakuläre Kraft. Ich fragte nun – rührende Reporterfrage –, ob er, Raoul, das Freundinnenhaben vermisse.
Er gab erneut die abgeklärte Antwort: »Sagen wir so: Du kannst ja, egal, wie rum du es hast, eigentlich nur verlieren. Wenn du keine Alte hast, dann kommst du nicht so leicht zum Stich. Hast du eine, dann fehlt dir auch was: Einfach los und in die Kneipe, morgens um sieben sturzbetrunken nach Hause kommen, sich vorm Laptop einen runterholen und pennen gehen, das ist dann nicht. Allein schon, wenn ich mir zehn Folgen Family Guy hintereinander angucke – da sagt doch jede Alte: Sag mal, du hast doch eine Macke.«
Raoul sprach: »Ich bin kein Beziehungsmensch. Wenn das Telefon klingelt, dann ist da immer besser keine Frau dran, besser ein Mann, der mit mir einen saufen gehen will.«
Ein Klingelton meldete das Eintreffen einer Nachricht auf Jappy. Der Teilnehmer Fred, einer der eingetragenen Kaiser’s-Aral-Kumpel, hatte eine Frage: »Molle bei Blaue Lagune um acht?«
Die Blaue Lagune, so hieß unter den Kumpels die Aral- Tankstelle.
Raoul tippte zurück: »Später. Hab zu tun.«
Noch mal zwei, drei Stunden später: im Proberaum. Es war ein ganz unspektakulärer Aufenthalt. Die Stundenvergingen langsam. Die Band übte eine Coverversion von Beverly Hills , einem Hit der amerikanischen Punkrock-band Weezer. Rampa sang die zweite Stimme. Die Begrüßung mit den Jungs hatte, wie unter Kumpels üblich, herzlich stattgefunden.
Eric, grinsend:
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