Deutschboden
wüsste nie, wann bei Kaiser’s ein guter Abend sei. Man müsste sich da einfach mit einem Sechser Bier hinstellen.
Dann erfahre man es.
Die inoffizielle Rennstrecke von Oberhavel, das seien übrigens die vierhundert Meter von der Aral-Tankstelle rauf zum Stadtpark: die Castrop-Rauxel-Allee hinauf. Das sei immer herrlich, wenn man die Jungs mit ihren gepimpten Karren die Rennstrecke rauf- und runterknallen höre.
Die stärksten Autos in seinem Bekanntenkreis, so Raoul, die fuhren seine Kumpels Earn und Jesko, beides jungsche Typen, um die zwanzig Jahre alt. Das Auto der Kumpels sei der Focus RS, um die 280 PS, einer mit Überrollkäfig, der andere ohne. RS, so erklärte Raoul, stehe für Ready Sport.
Jesko und Earn hätten wirklich nur ihre Autos im Kopf.
Sie hätten zwar Freundinnen, das seien auch hübsche und nette Freundinnen, aber diese Mädchen wüssten, dass sie selbstverständlich nach den Autos kamen.
In Oberhavel, so Raoul, sei der Sport aller Menschen zwischen 18 und 25 Jahren, das Stadtrunden-Fahren. Man setzte sich in einen Wagen, bei dem die Tanknadel kurz über null hing, lud für einen Fünfer Sprit nach, und dann ging es die immer selben Runden. Die klassische Stadtrunden-Strecke durch Oberhavel führte über die Spandauer Straße runter zur Havel und zurück, über die Schleuse, Liebenwalder Straße, am Friedhof vorbei, auf die Aral-Tankstelle, die Castrop-Rauxel-Allee hinauf, über die Clara-Zetkin-Straße und das Berliner Tor zurück in die Stadt.
Es gebe unter Stadtrundenfahrern, so Raoul, die Bier- Trinker-Runde (BTR) oder die Nutten-Kontroll-Fahrt (NKF).
Der klassische Dialog zwischen zwei Oberhavelern, von denen der eine am Lenkrad saß und der andere draußen am offenen Fenster lehnte, lautete wie folgt:
»Was machst’ denn grad?«
»Nüscht.«
»Später was vor?«
»Nüscht.«
»Wollen wir Stadtrunden fahren?«
»Geht klar.«
Dann fuhr man stundenlang, drei, vier, fünf Stunden und länger, und hörte eine CD nach der anderen.
Eric, so Raoul, sei ein klassischer Stadtrunden-Fahrer. Er drehe – mittags, nachmittags, am Abend – seine Rundenmit einem alten Astra, 70 PS, Auspuff kaputt, Motor kaputt, Musik auf Anschlag: So wisse immer jeder, dass Eric in der Anfahrt sei.
War er, Raoul, auch mal ein Stadtrunden-Fahrer gewesen?
»Natürlich. Ich fahre immer noch gerne. Und wie die Sau. Meinen Wagen, einen Astra GSI, 170 PS, hat mir eine Frau nachts an den Baum gesetzt. Totalschaden. Ist eine arme Fritteuse, also Friseuse gewesen, da konnte ich nicht nach Geld fragen.«
Ich sagte Raoul, dass ich begeistert sei von dieser Sorte Geschichten. Auch sei ich ein großer Autofan – das aber erst seit allerneuester Zeit, also praktisch seit vier Wochen, weshalb ich, leider, null Komma null Ahnung von Autos habe.
Raoul schien das nicht zu überraschen. Er nickte. Das Gegenteil, so sah ich – der Reporter ein Autofachmann –, das hätte ihn überrascht.
Die Aral-Tankstelle: Da ginge es, neben Kaiser’s, natürlich auch um Autos. Jeden Tag, ab vier Uhr nachmittags, stünden seine Jungs da draußen, manchmal bis zum Morgengrauen. Die Tankstelle habe 24-Stunden-Service, ab 23 Uhr kaufte man das Bier am Nachtschalter. Aral, das sei jetzt, bei dem schönen Wetter, eh der Ort.
Raoul war in Gedanken jetzt ganz auf der Aral-Tankstelle, es war ihm, auf eine Art, wirklich wichtig, mir vor Augen zu führen, wie es dort zuging. Gleichzeitig rauchender und Kaffee trinkender Erzähler Raoul.
Jedem sei langweilig, sagte Raoul, aber keiner gebe es zu – und wenn man es genau nehme, so Raoul, dann seies auch gar nicht langweilig, schon gar nicht jetzt, im Sommer. Jetzt, wo die Badesaison bald losging, gebe es einen ständigen fliegenden Wechsel zwischen Kaiser’s, Aral und den Stichen, den Badeseen also, die nördlich von Oberhavel lägen. Da sei Oberhavel – das wisse ja auch jeder – so oder so der geilste Badeort nördlich von Berlin.
Ich musste lachen, weil Raoul sich wieder so für seine Heimatstadt einsetzte. Ihm aber war es wichtig klarzustellen, dass er eben nicht übertrieb, eben keinen Quatsch erzählte: »Da kommt was auf uns zu, wirst sehen. Da geschieht noch einiges, diesen Sommer.«
Ich fragte Raoul, ob er mich mal mitnähme: mit zu Kaiser’s, mit zu Aral.
Er tat komplett verwundert. Natürlich nehme er mich mit. Wir könnten auch gleich heute Abend noch zu Aral rüber laufen, kein Problem. Er sei da eh fast jeden Abend.
Im Übrigen, so Raoul, solle
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