Deutschboden
Kirchplatz. Hätte Barack Obama in Oberhavel übernachten müssen, jawohl, er hätte es wohl am besten in Raouls Wohnung über der Gaststätte Schröder getan.
Raoul servierte den guten Cappuccino, der aus der Tüte kam. Für die erste Blume, so erklärte Raoul, habe er gestern eine Stunde gebraucht, die habe man nur wegwerfen können, die zweite sei dann heute in zehn Minuten fertig gewesen. Wir saßen nun beide und guckten.
Der Fernseher?
Der Bildschirm messe in der Diagonale 82 Zentimeter. Das sei leider nichts Besonderes. Die Kumpels hätten 107 oder 127 Zentimeter. Er habe es ausgemessen: Ein 94er würde bei ihm in die Ecke hineinpassen.
Die Playstation?
Das sei eine 2er. Leider auch schon veraltet. Die Kumpels hätten natürlich längst die Playstation 3, die mit Riesen-Spielkonsole, Internet, WLAN, Speicherplatz von achtzig Gigabyte, Blu-Ray-Laufwerk, HDMI – Eingängen.
Raoul war, während er die Überlegenheit der Playstation 3 in technischen Fachbegriffen ausdrückte, unentwegt bei der Internetseite Jappy.de eingeloggt.
Jappy, so Raoul, sei ein soziales Netzwerk, vergleichbar mit My-Space, StudiVZ und Facebook. Ulkigerweise habe es sich ergeben, dass bei Jappy im Gegensatz zu den anderen, natürlich viel größeren Netzwerken, besonders viele Mitglieder aus dem Umland von Berlin und aus Brandenburg miteinander vernetzt seien.
Jappy, so Raoul, sei in Oberhavel wichtiger als das Handy. Das Handy kostete Geld, das Internet praktisch kein Geld. Auch deshalb seien alle auf dieser Seite. Praktisch alle Bekannten, die Kumpels – enge Kumpels, weniger gute Kumpels – seien Mitglieder bei Jappy, insgesamt, so Raoul, halte er über Jappy zu hundert Leuten in Oberhavel und Umgebung Kontakt, denn exakt auf hundert war die Anzahl der Freunde, die ein Mitglied bei Jappy haben durfte, begrenzt. Und über diese Internetseite liefen wirklich alle Kontakte, Partys, Geburtstage, Konzerte, spontane Besäufnisse würden hier angekündigt, alle Verabredungen dort getroffen.
Und so liefe das soziale Leben bei ihm und seinen Bekanntenab: Man komme von der Arbeit nach Hause, sofern man denn eine Arbeit hatte, und schaue bei Jappy.de rein – gucke, was gerade so im Angebot sei, ob man sich irgendwo noch hinstellen und ein Bierchen trinken gehen könne an einem der drei, vier eingetragenen Treffpunkte in der Stadt. Hatte man keine Arbeit, so Raoul, ja, dann bliebe man praktisch rund um die Uhr bei Jappy eingeloggt und habe so ständig auf dem Bildschirm, was und wer im Städtchen gerade in Bewegung sei.
Der Reporter hing, maximal interessiert und auf Empfang geschaltet, neben Raouls Kopf über dem Schirm von dem Computer und versuchte zu verstehen.
Jappy.
Netzwerk.
Partys, spontane Besäufnisse.
Die drei, vier eingetragenen Treffpunkte in der Stadt.
Das klang ja alles maximal aufregend.
Der Mann, der sich im sozialen Netzwerk der Kleinstadt so auskannte wie wohl kein Zweiter in Oberhavel, deutete auf die Kaffeetasse, die der Reporter gerade zum Mund führen wollte: »Das ist mein Kaffee. Deiner steht da.« Raoul deutete auf die Tasse, die auf dem Tisch stand. »Kannst aber auch meinen Kaffee trinken, ist mir egal.«
Welches waren die eingetragenen Treffpunkte?
Die Treffpunkte in Oberhavel, so Raoul, das seien natürlich die Gaststätte Schröder und Franky’s Place, in beiden Lokalen hätte ich ja schon Bier getrunken, sowie in den warmen Monaten, also von März, April bis zum Oktober, die Aral-Tankstelle und der große Parkplatz vor Kaiser’s.
Bei Kaiser’s, so Raoul, da seien die Jungs mit den Autos. Da draußen, auf dem großen Parkplatz, hätten sie den Raum, den Platz, sich hinzustellen und ihre Kurven zu drehen, man könne da richtig Gas geben. Auf eine Art sei der Platz vor Kaiser’s das größte Lokal. Stünde einer da, dann könne man sich mit seinem Auto dazustellen. In Oberhavel, so Raoul, seien sie autoverrückt, das alles bestimmende Thema seien hier natürlich die Autos.
Die Jungs vor Kaiser’s, so Raoul, seien jünger als er, aber sie machten wenigstens etwas, starteten Aktionen, ließen sich nicht hängen, so nach dem Motto: Lass mal volltanken, Gas geben, rausfahren auf den Berliner Ring. Oder ein paar Bier schnappen und saufen wie die Blöden.
Die Jungs bei Kaiser’s, so Raoul, das seien auch die Jungs, die die Band unterstützten, also zu den Konzerten anreisten, ganz gleich, ob die in Polen oder im Proberaum in Kurtschlag stattfanden: zuverlässige Kräfte, gute Jungs. Man
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