Deutschboden
Ding gemacht, ohne sich groß einzumischen: Schraube, der Tätowierer.
Er hatte sich sein eigenes Sixpack Bier mitgebracht.
Er trug ein T-Shirt mit der Aufschrift »Rien ne va plus«.
Er war dünn und groß und sah zäh und drahtig aus.
Er hatte den typischen Oberhaveler Fighter-Haarschnitt, trug einen Ring in der rechten Augenbraue und Ringe in beiden Ohren und war natürlich zutätowiert (da, wo einst ein Wikinger gewesen war, so Schraube, saß heute ein dämonisches Gesicht mit einer Schrotflinte darüber.)
Schraube, Mitte dreißig, natürlich auch Hartz-IV – Empfänger – früher hatte er mit Rampa, den er seit Schulzeiten kannte, auf dem Bau gearbeitet.
Er sprach wenig.
Er sah echt lustig aus.
Wir hatten gleich einen Draht zueinander, wir nickten uns zu, und wir grinsten, weil Schraube einen grinsigen kleinen Mund mit kleinen Lachfalten hatte, und auch deshalb, weil man sich zu der lauten Bandmusik schlecht unterhalten konnte.
Ich fragte Schraube, ob er mir eine Tätowierung auf den linken Unterarm machen könne, ich hätte da gerne ein wenig Text stehen, ziemlich egal, welchen Text: Hauptsache nichts Sinnvolles, künstlerisch Wertvolles, Großartiges. Es sollte insgesamt wie eine Kinderei, eine Jugendsünde, wie ein im Suff gemachter Fehler aussehen. Schraube verstand sofort. Klar. Mache er. Nächste Woche sei er mit Rampa in seinem Tätowierstudio, das er bei sich zu Hause neben seinem Wohnzimmer eingerichtet habe, für eine Sitzung verabredet. Da wolle er Rampa die Worte »Waste your time« in fünf Zentimeter hoher Schreibschrift auf ein noch freies Stück seines rechten Unterarms tätowieren. Da könnte ich, so Schraube, gerne dazukommen. Ich müsse mir bis dahin bitte nur genau überlegen, wie der Text lauten solle, den ich auf dem Unterarm haben wolle. Denn Tätowierungen, das wüsste ich ja hoffentlich, seien für immer. Schraube sprach, grinsend, feixend, den Klassiker aller Tätowierer: »Du musst mit dem Tattoo leben. Nicht ich.«
Gruß beim Schild von Deutschboden.
Im Haus Heimat versuchte ich Maria aufzureißen, einfach deshalb, weil ich irgendwie dachte, dass ich ihr das schuldig sei, und weil ich bisher jedes Mal, wenn ich sie gesehen hatte, mehr oder weniger auffällig versucht hatte, sie aufzureißen. Es klappte null. Ich war von der Wand aus Dekolleté, Schminke und dem Grün ihrer Kontaktlinsen-Augen, während sie hinter der Theke die Biergläser in warmes Spülwasser tunkte und unter dem Zapfhahn wieder volllaufen ließ, fasziniert.
Ich merkte, dass ich den vollkommen regungslosen Gesichtsausdruck, den sie beim Gläserspülen hatte, scharf fand. Sie, Maria, das dachte ich noch einmal, war natürlich ein richtiger Trumpf für den alten Finster.
Ich fragte Maria, während ich ein Bier an Wilfried Finsters Theke trank: »Ich würde dir gerne ein paar Fragen stellen – nichts Besonderes. Wie es sich hier lebt in Oberhavel, diese Dinge. Wann hast du mal frei?«
Maria sagte, sie habe überhaupt nie frei.
Dann sagte sie: Montags, dienstags. Sie könne nur reden, wenn sie dabei Gläser poliere.
Sie wollte jetzt noch einmal genau wissen, über was wir reden würden. Ich sagte, mir würde schon etwas einfallen, sie sagte, wieder mit dem herrlich ausdruckslosen, schlaffen Gesicht: »Aber nichts Perverses.« Noch hatte sich der Alltag nicht eingestellt, aber er war nah dran. Der Alltag klopfte an: Der Reporter stieg das Treppenhaus zu seinem Zimmer 5 hinauf, das an diesem Abend nach Kohl roch oder etwas anderem vor einer halben Ewigkeit Gekochtem, als er eine Ahnung davon bekam, was das war: Alltag in Oberhavel.
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19 Jungs und Mädchen
Dann war es, praktisch von einem Tag auf den anderen, Sommer.
Es waren die Jahre, in denen der Frühling mit seinem langsamen Aufwärmen der Natur ausfiel und nach den nassen, kalten gleich die heißen Tage kamen. Das Wetter stimmte nicht – die Blätter in den Bäumen hatten noch nichts von der Schwere und Müdigkeit des Hochsommers, aber die Luft war schon auf sensationelle 28 Grad hochgefahren.
Man dachte: Ah, Badewetter.
Mitte Juni? Ist ja geil.
Ist ja geisteskrank.
Und über den Straßen der Kleinstadt stand, brüllend laut und hell, die Sommersonne und forderte dazu auf, nach vorne zu gehen.
Die Killer-Prolls watschelten in Unterhemden die Bürgersteige hinab und zeigten ihre Brüste und Schultern. Die jungen Mütter zerrten ihre Kinder noch aggressiver als sonst durch die Gegend, als erinnerte sie das schöne Wetter daran,
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