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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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dass ein Teil ihres Lebens – der Teil, in dem sie, junge Frauen, mit jungen Männern an Badeseen gespielt hatten – für immer vorbei war.
    Die Alten, Müden, Kranken und sonst wie Gebeugten standen in Grüppchen auf den Bürgersteigen beieinander und beschwerten sich gleich am ersten Tag des schönen Wetters über das schöne Wetter:
    »Janz schön heiß, wa?«
    »Lieber Jott, ja.«
    »Ditt soll ja so bleiben, bis Ende August soll ditt so bleiben.«
    »Ehrlich?«
    »Haben sie heute im Radio jesacht.«
    »Ditt kann ja wohl nich wahr sein.«
     
    Die Anzahl der Fahrradtouristen, die auf der Hauptstraße gesehen werden konnten, mit Helmen, Fahrradtaschen und Allwetterjacken, sprang merklich in die Höhe.
    Der Reporter rannte auf und ab.
    Der Reporter hatte fast schon panisch gute Laune.
     
    Anruf Raoul: »Geilet Wetter, wa? Pass uff. Wir treffen uns sonntags 15 Uhr immer zur Lagebesprechung im Eiscafé. Also: Da sind wir gleich alle. Da kannst du auf einen Schlag die ganze Rasselbande kennenlernen.«
    Auf der Terrasse vor der Billigboutique Fun Factory, auf der Straßenseite gegenüber dem Eiscafé gelegen, sah ich sie sitzen: eine Gang von zwanzig jungen Menschen. Kappen, T-Shirts, Sonnenbrillen, Turnschuhe. Plastikstühle. Vier Tische waren zu einer großen Runde zusammengeschoben. Zwischen den Jungs sah ich Raoul und Eric sitzen und – schockierender Anblick – auch drei junge Frauen. Der Reporter wurde nicht vorgestellt. Wie auch? Ich setzte mich irgendwo dazwischen, machte den alten Trick, dass ich so tat, als sei irgendetwas Wichtiges in meinem Handy neu einzustellen. So, auf dem Handy herumdrückend, tat ich Blick für Blick in die Runde.
     
    Der Reporter sah gleich, soweit man das sehen konnte: nette Leute, nicht die schwere, eher die leichte Sorte Jungs. Es war, vielleicht zum ersten Mal in der Kleinstadt, ein mir vertrauter Anblick von Normalität.
    Junge, teils noch kindliche Gesichter. Weiche Barthaare, unreine Haut. Die Jungs waren 20 und 21 Jahre alt oder geringfügig älter. Man sah Tätowierungen, aber es war längst nicht jeder Unterarm, jeder Unterschenkel tätowiert. In keinem der Gesichter hatte der Alkohol oder sonst eine Kaputtheit Spuren hinterlassen, und es schien fraglich, ob der Alkohol die Zukunft jedes dieser noch jungen Leben würde bestimmen, ob der Alkohol sich jedes dieser Leben würde holen können: Einige Jungs wirkten, im Gegenteil, so, als hätten sie sich bewusst für ein Leben mit wenig Alkohol oder ganz ohne Alkohol entschieden.
    Zwei Jungs, das sah ich jetzt, sahen sogar ausgesprochen gut aus. Es waren, natürlich, die beiden Jungs, die Freundinnen neben sich sitzen hatten. Ein Typ mit massiv auftrainierten Armen hatte einen Arm um den Hals des Mädchens neben sich gelegt und dafür, als Zeichen ihrerVerbundenheit, eine Hand von ihr auf sein Knie gelegt bekommen, auf die er wiederum, ein Zeichen seines Besitzanspruches, seine Hand gelegt hatte. Sie war klein, blond, mäusegesichtig, wirklich süß. Ein Junge und ein Mädchen mussten, obwohl sie sich nicht umarmt oder sonst wie aneinander festhielten, allein schon deshalb ein Paar sein, weil beide eine ganze Klasse besser aussahen als der Rest der Runde. Es gab, so fies das sein mochte, in der Liga ihres Aussehens für diesen Jungen und dieses Mädchen keinen anderen Partner. Auch deshalb mussten sie ein Paar bilden. Er hatte weiche, fließende Muskeln und ein schmales, glattes Gesicht; sie lange braune Haare und, so konnte man sagen, gut hoch sitzende Wangenknochen. Dass sie so entschieden besser aussah als die meisten durch Oberhavel laufenden Mädchen, das mochte, so dachte der Reporter, auch daran liegen, dass die von ihr verwandten Pflege-, Kosmetik- und Haarfärbe-Produkte um eine Klasse besser waren als die sonst in der Kleinstadt benutzten Produkte.
     
    Das dritte Mädchen in der Runde saß neben Raoul. Er konnte sich gerade nicht um sie kümmern. Sie war, vielleicht auch deshalb, weil er sich gerade nicht kümmern konnte, mit dem Abzählen der Zigaretten, die noch in ihrer Zigarettenschachtel waren, beschäftigt.
    Sie war keine Schönheit, aber in der Runde machte sie viel her. Alles an ihr war Haar, Schminke, Drama, Auftritt. Ihr Haar stand als großer eisgrau gefärbter Kranz um ihren Kopf; das Gesicht war weiß geschminkt; schwarze Augen; rosafarbener Mund. Ihr Kleid war ein weißes Tüllding, das von einem zehn Zentimeter breiten Stretchgürtel zusammengehalten wurde; Strumpfhosen; Lederstiefel mit

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