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Deutschboden

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Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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Metallapplikationen. Auf ihren Stiefeln stand der Schriftzug »Killah«. Der Reporter dachte: New Jersey Mitte der Achtzigerjahre, Boy George, La Traviata, New Romantic, der Country von Dolly Parton, Deutschlan d sucht den Superstar oder eine Mischung von all dem. Und doch lag im Übertriebenen und Übergewichtigen ihres Auftritts ein gekonntes Gleichgewicht, das Austarieren der vielen Stile und Modezitate musste Stunden gedauert haben. Es war ein grandios verkehrter Auftritt für einen Eiscafé-Besuch am Sonntag um 15 Uhr. Die in der Großstadt längst erledigten, weil leer und beliebig gewordenen Begriffe Style, Trend und Fashion – hier wurden sie noch einmal vorgeführt und gefeiert mit einem geradezu existenziellen Ernst, wie das vielleicht nur noch in der Abgeschiedenheit der Kleinstadt möglich war.
    Da sah ich unter den Jungs den mir vom Boxen bekannten Fred, das war der, der sich mit dem Seilspringen schwergetan hatte. Wir begrüßten uns jetzt beide besser auf die unauffällige Art.
     
    Als die Bedienung kam, bestellten nur zwei Jungs einen Kaffee. Die anderen sagten: »Lass ma’.« Oder: »Nö.« Oder: »Einmal nüscht, bitte.« Die Bedienungs-Frau nahm das gelassen. Die Sonne brannte und bretzelte.
     
    Es wurde das getan, was an Sonntagnachmittags-Runden im Eiscafé üblicherweise getan wurde: noch eine geraucht; auf den Stühlen hin- und hergekippelt; gegähnt; die vergangene Samstagnacht besprochen; ganz viel gesprochen und dabei möglichst wenig gesagt. Die Gesprächsthemen wurden maximal dreißig Sekunden langbehandelt. Es verging also nicht eine Minute, in der kein neuer Vorschlag für das nächste zu besprechende Thema gemacht wurde.
    Eric erzählte, dass er gerade erst aufgewacht sei: »Scheiße müde, echt.« Er schob die Sonnenbrille hoch, rieb sich die Augen, ließ die Sonnenbrille wieder runter. Eric sagte zu dem Typen, der neben ihm saß: »Halt’s Maul.« Dann lächelten beide, Eric und der Typ, der neben ihm saß und sein Maul halten sollte, und Eric steckte sich das Frühstückszigarettchen an.
    Einer sagte: »Ditt Crash-Eis schmeckt hier nicht, ditt schmeckt hier nur nach Wasser.«
    Der neben ihm: »Weeßte noch das Crash-Eis an der Ostsee? Ditt war jut.«
    Einer, er trug ein gelbes Polohemd mit der Aufschrift »Edeka/Wir lieben Lebensmittel«, war gestern über Nacht in Berlin gewesen.
    Wo genau da in Berlin gewesen?
    »Bei einem Kumpel. Neukölln. Kannst du aber echt nicht hinfahren. Nur Asoziale. Nur Kanaken.«
    Einer erzählte die irre Geschichte von der gestrigen Samstagnacht: Da sei einer, den man kannte, dessen Name aber gerade nicht erinnert werden konnte, auf der B167 kurz vor Finow von zwei Autos von der Straße gedrängt und, wie es hieß, mit zwei Bäsis, also Baseballschlägern, aus dem Auto herausgeboxt worden.
    Watt?
    Echt?
    Ja.
    Echt.
    Krass.
    Kaputt.
    Assis.
    Feddich.
    Krasse Kacke.
     
    Fred erklärte, und er nahm bei dieser Argumentation jetzt enormen Schwung auf, dass man nur mit dem Fuß auf dem Gaspedal hätte draufbleiben und heftig hin und her fahren müssen, dann könne einen niemand, nicht einmal die asozialste Sau, mit dem Baseballschläger aus dem fahrenden Auto herausboxen. Der Fehler liege also bei dem Überfallenen.
    Raoul zitierte Gags aus der Serie Family Guy . Alle lachten.
    Einer sang die Melodie von einem Computerspiel, die anderen stimmten ein.
    Der Klitschko-Kampf gestern galt als die volle Pleite.
    Sie, Freundin, suchte bei ihm, ihrem Freund, etwas in den Haaren. Er, Typ mit den dicken Armen, drückte ihr, Mäusegesichtiger, so lange einen Daumennagel in die Hand, bis ein blauer Fleck entstand. Sie quietschte.
    Einer versuchte, auf die Schuhe seines Nebenmanns zu treten, ohne dabei vom Stuhl aufzustehen, der andere auszubüxen, ohne aufzustehen. Es wurde ein Stuhl-Tanz.
     
    Es kamen zwei Jungs dazu, die ihre Geländemaschinen am Mäuerchen vor dem Eiscafé parkten. Sie zogen ihre Helme ab, machten die Runde und gaben jedem die Hand. Einer der Jungs trug eine orangefarbene Racinguniform mit der Aufschrift »KTM Racing Jopa.«
    Die Rede war von einem Ron, der sich einen Focus RS gekauft hatte für 36000 Euro. Übel genommen wurde Ron, so konnte der Reporter der Runde entnehmen, dass Ronnicht den weißen, sondern den giftgrünen Focus gekauft hatte, nur damit es nicht so aussah, als ob er sich den grünen, der teurer war als der weiße, nicht leisten konnte. Dabei hätte Ron den weißen, so wie es in der Caféhaus- Runde hieß, lieber

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