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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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gehabt.
     
    Ein Polizeiauto glitt über die Hauptstraße: zwei Wachtmeister, hinter offenen Autoscheiben sitzend, keine drei Meter von den Caféstühlen entfernt. Die Jungs taten den Polizisten nicht den Gefallen, sich nach ihrem Wagen umzudrehen – sie machten, grinsend, Schießgeräusche nach:
    »Bamm. Babababamm.«
    Gelächter, Freude allerseits. Polizeiwagen ab.
    Ich merkte, dass die Freundin von dem mit den dicken Armen kurz davor war, mir eine Frage zu stellen, aber sie tat es nicht, sie fragte jetzt besser doch nichts. Ich bekam auch mit, dass die Runde von der ersten Minute an, in der ich mich dazugesetzt hatte, sich über den Reporter lustig gemacht hatte: über die Art, wie ich da saß, wie ich Kaffee bestellte, über meinen Hut. Ich fand das normal. Ich fand das, mehr noch, angemessen und gerecht.
     
    Einer, der mir schräg gegenüber saß, hatte ein Ed-HardyT-Shirt an. Dann sah ich, beim zweiten Hinsehen, dass es natürlich doch kein Ed-Hardy-T-Shirt war. Der Reporter fragte, schwachsinnig mutig, praktisch wider besseres Wissen: »Gutes T-Shirt. Ist das Ed Hardy?« Und der Junge schoss, so entschieden wie freundlich und unter dem Gelächter der Runde zurück: »Ed Hardy? Nee. Ed Hardy trage ich immer nur montags, wenn Transentag ist.«
    Der Reporter wurde, wie schon in der Kneipe Schröder,
    dazu beglückwünscht, als Erstes Raoul und die Jungs von 5 Teeth Less getroffen zu haben: »Na, da hast du ja gleich den Richtigen kennengelernt.« Und ich sagte: »Na, ich weiß nicht. Ein Zufall war das nicht.« Und Raoul sah mich an und lachte: Als überlegte er, wie das kein Zufall gewesen sein konnte, dass ich ausgerechnet als Erstes in ihn hineingelaufen war.
     
    Raoul sagte zwei Sätze, die ich nicht anders konnte, als vor versammelter Runde in mein Notizbuch zu notieren (was mir einige irritierte Blicke und Fragen einbrachte), denn ich hielt diese Sätze – Entschuldigung – für große, für wirklich unbezwingbar große Literatur.
    Raoul sagte, als er an seiner West Ice zog und es im Moment dieses An-seiner-West-Ice-Ziehens einen Moment der Stille von dreißig Sekunden gegeben hatte – er sprach mitten in die Stille der Sonntagnachmittagsrunde hinein: »Rauchen fetzt. Weil da kieken die Weiber.« Zustimmende Geräusche allerseits.
     
    So saßen wir noch zwei Stunden.
    Es war immer sehr unterhaltsam.
    Und es wurde dann – natürlich – auch sehr langweilig.
    Als es richtig langweilig, also wirklich finster dumm und öde zu werden drohte, hieß es in der Runde:
    »Aral.«
    Das Wort sprang, abwechselnd als Frage und als Antwort und Bekräftigung ausgesprochen und ausgerufen, einmal um die Runde, von Tisch zu Tisch, von Stuhl zu Stuhl:
    »Aral? Aral! Aral … Aral.«
    Raoul sagte: »Los geht’s. Wir fahren nach Aral.«

[Menü]
20 Aral
    Und alles erhob sich, Stühle wurden über den Stein gezogen, die Gang verteilte sich auf Autos und Motorräder, und es ging, wie man mir das später erklärte, in zwei Ford Focus RS, einem Ford Puma, in Erics Opel Astra und mit einer KTM – und einer Yamaha-DT – Geländemaschine, mit Vollgas und in wunderbaren Formationsfahrten an diesem Sonntagnachmittag im Juni zur Aral-Tankstelle.
    Der Reporter saß mit Eric im Astra.
    Eric: »Das sind alles gute Jungs, liebe Jungs. Alle autoverrückt. Die leben wirklich für ihre Karren. Die saufen auch alle nicht so viel wie wir, kein Komatrinken, keine Vorstrafen. Die arbeiten oder sind in Ausbildung. Aber wenn es hart auf hart kommt, dann sind sie hart, dann kannst du dich auf sie verlassen.«
    Eric, am Lenkrad seines Astra sitzend, umriss, während wir zur Aral-Tankstelle herunterschossen, die Biografien der Jungs, mit denen wir im Eiscafé gesessen hatten und nun bei Aral herumstehen würden – neun Biografien, die vielleicht beispielhaft waren für eine deutsche Kleinstadt-Wirklichkeit:
    Fred: der vom Boxen. Er arbeite als Maurer bei einem Baugeschäft, sei jeden Morgen um sechs bei der Arbeit, stehe in den warmen Monaten jeden Nachmittag um vier bei Aral. Er fuhr kein eigenes Auto beziehungsweise, wenn er mit dem Auto unterwegs war, dann mit dem Passat von Opa. Dieser Fred saufe gerne mal einen, er wurde, so Eric, von den anderen Jungs auch Sexy genannt. Sexy?
    Ja, warum nicht Sexy?
    André: einer von zwei in Oberhavel mit einem Focus RS (250 PS). Der mit den dicken Armen und der kleinen Freundin (Mäusegesicht). Er arbeitete bei einer Solar-technik-Firma in Berlin im Schichtsystem. Wenn André Frühschicht hatte, dann

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