Deutsche Geschichte
ihr Kritik übte und sie reformieren wollte, lief Gefahr, aus der Kirche ausgeschlossen oder gar als Ketzer verbrannt zu werden wie der böhmische Reformer Johann Hus im Jahr 1415. Dass die Kirche noch im tiefsten Mittelalter steckte, zeigten auch die Hexenverfolgungen. Tausende unschuldige Frauen wurden oft grausam gefoltert, bis sie gestanden, mit dem Teufel im Bund zu sein, um dann auf dem Scheiterhaufen öffentlich verbrannt zu werden.
Neben der Verfolgung von »Ketzern« und »Hexen« waren für die meisten Kirchenfürsten Geld, Pracht und Macht das Wichtigste. So genügte dem neuen Papst Leo die alte Peterskirche in Rom nicht mehr. Er wollte sie noch prächtiger haben, eine Kirche, wie die Welt noch keine gesehen hatte. Für solche Pläne aber mussten zusätzliche Einnahmequellen erschlossen werden – was bei den sowieso schon hohen Abgabelasten, die die Gläubigen zu tragen hatten, schwierig war. Da half eine raffinierte Idee: Nach kirchlicher Lehre mussten die Menschen nach ihrem Tod durch das Fegefeuer gehen, um von ihren Sünden gereinigt zu werden; erst dann konnten sie in den Himmel kommen. Diese unermesslichen Qualen aber konnte die Kirche den Gläubigen ganz oder teilweise erlassen, wenn sie dafür einen »Ablass« bezahlten. Für diesen »Ablasshandel« schickte der Papst Ablassprediger durch die Lande, die den Gläubigen das Geld aus der Tasche zogen.
Von diesem Ablassgeschäft hörte in Wittenberg der Mönch und Theologieprofessor Martin Luther und war zutiefst empört. Er hatte sich jahrelang bemüht, die Bibel zu verstehen, um den rechten Weg zu Gott zu finden. Und nun erzählten die Ablassprediger den Leuten, Gottes Gnade sei für ein paar Dukaten zu haben. Dagegen wandte sich Luther im Oktober 1517 mit 95 Lehrsätzen (Thesen). Ob er sie tatsächlich an die Tür der Wittenberger Schlosskirche hängte, wie die Legende will, ist dabei nicht so wichtig. In seinen Thesen begründete er, dass die Ablassprediger sich entweder irrten oder den Leuten bewusst etwas vorschwindelten, wenn sie ihnen erzählten, durch Geld könnten sie von allen Strafen befreit werden. »Ein jeder Christ, der wahre Reue und Leid empfindet über seine Sünden, hat die völlige Vergebung von Strafe und Schuld auch ohne Ablass, allein durch die Gnade Gottes«, schrieb er.
Luthers Thesen erregten Aufsehen. Innerhalb kurzer Zeit wurden sie in großer Zahl gedruckt und verbreitet. Luthers Schüler trugen seine Gedanken aus der Universität hinaus ins Land. Die Menschen strömten in Scharen zu seinen Predigten und begriffen, dass es dem Papst und den Bischöfen nicht um ihr Seelenheil, sondern allein um ihr Geld ging.
Weil Luther in einer deutlichen, manchmal auch deftigen Sprache sagte, was viele Menschen heimlich dachten, gewann er schnell zahlreiche Anhänger.
Ein Jahr nach der Veröffentlichung der 95 Thesen verlangte der Papst von Luther, seine »Irrlehren« zu widerrufen. Doch dazu war Luther nicht bereit. Im Gegenteil: Er verfasste weiter Schriften, in denen es auch um soziale und politische Fragen ging. Die große Not so vieler Menschen sei nicht der Wille Gottes, schrieb er. Vor allem der Papst und die Geistlichen seien Schuld an den Missständen. Deshalb müssten sie der weltlichen Obrigkeit unterworfen werden und alle Macht verlieren. Den Papst nannte Luther gar einen »Antichristen«. In der Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation forderte er eine Reform der deutschen Kirche und eine Trennung von der römischen Papstkirche. Luthers populärste Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen begann mit dem Satz: »Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemand untertan.«
Dieser Satz verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Er elektrisierte die Menschen geradezu. Für sie war Luther der lang herbeigesehnte Erlöser. Für den Papst und die Kirchenfürsten war er ein Ketzer. Ebenso für den jungen Habsburger Kaiser Karl V., der Luther verhaften lassen wollte. Aber Friedrich der Weise von Sachsen, Luthers Landesfürst, ließ das nicht zu. Also lud der Kaiser den »widerspenstigen Mönch« im Jahr 1521 vor den Reichstag (eine Versammlung hoher geistlicher und weltlicher Fürsten) in Worms, wo er endlich widerrufen sollte. Dazu war Luther bereit – wenn ihm jemand aus der Bibel beweisen könne, dass seine Lehre falsch sei. Doch der Kaiser und die Fürsten wollten nicht mit Luther über Glaubensfragen diskutieren, sie wollten seinen Widerruf. Luther aber blieb standhaft und wäre wohl wie Johann Hus
Weitere Kostenlose Bücher