Deutsche Geschichte Von 1815-1870
sowie seine nächsten Anhänger, welche mit ihm flohen, um den letzten Rest von Ansehen, und in Folge dessen konnten jetzt die Anhänger der jüngeren bourbonischen Linie, die Parthei der Orleans, in den Vordergrund treten, mit der Hoffnung die Ereignisse nach ihrem Sinne zu beherrschen. Diese Parthei sah sich vorzugsweise repräsentirt durch
jenen
Mann, welcher bereits in der Revolution von 1789 eine so glänzende und verhängnißvolle Rolle gespielt, welcher so Vieles verdorben und verschlimmert hatte, durch seinen Mangel an politischer Einsicht und Klarheit – ich meine den berühmten
Lafayette
. Unter dem Consulat und Kaiserreich, alle Ehren desselben von sich ablehnend, lebte er auf seinem Landsitze als einfacher Privatmann, hatte aber nun die Wahl eines Deputirten angenommen. – Schon 1791 war sein Throncandidat der älteste Sohn des Herzogs Ludwig Philipp von Orleans, des bekannten »Philipp Egalité«, gewesen. Dieser junge Mann, Louis Philipp, hatte sich in den Jahren von Napoleon's Herrschaft, gegenüber dem faulen Emigrantenanhang der Grafen von Artois und Provence vortheilhaft ausgezeichnet, indem er das arbeitsame Leben eines einfachen Privatmannes führte und während längerer Zeit durch Stundengeben seinen Lebensunterhalt erwarb. – Während seine Anhänger und Freunde es früher sorgsam vermieden hatten ihn zu nennen, schien jetzt plötzlich seine Stunde gekommen zu sein, als unter dem Eindruck der Niederlage von
Waterloo
die Kammer zusammentrat und auf Antrag Lafayette's sich in
Permanenz
erklärte. – Sobald Napoleon sich einigermaßen ermannt hatte, war er von Waterloo nach Paris geeilt, um sich wenigstens dort die Staatsgewalt zu erhalten. Seinem Bruder Joseph, der jetzt treu bei ihm aushielt, trotzdem seine Klagen und Warnungen so oft ungehört hatten verhallen müssen, schrieb er: »Noch habe ich 150,000 Mann, ebensoviel an Freiwilligen und Nationalgarden; ich bewaffne sie mit den Gewehren der Royalisten, zur Bespannung der Geschütze nehme ich die Luxuspferde – nur Muth und Festigkeit!« Zu spät! Selbst Napoleon's treueste Anhänger wünschten, er sei nicht nach Paris zurückgekommen. Schon wurde das verhängnißvolle Wort:
Abdankung
! wieder laut und frei in dem Ministerrathe des Kaisers auf Lafayette's Betreiben ausgesprochen, und sogar die
Absetzung
des Kaisers war in Aussicht genommen, wenn seine Abdankung nicht freiwillig erfolgen solle. – Man ging noch weiter, man plante sogar eine Erklärung der
Thronerledigung
, um damit dem Herzog von Orleans um so sicherer den Weg zu demselben zu ebnen. Schon in der Sitzung vom 21. Juni 1815 hatte Lafayette die dreifarbige Fahne neu proclamirt; man sprach davon, ihn selbst wieder an die Spitze der Nationalgarde zu stellen, und ein Redner wagte bereits die Frage an die Minister zu richten: »Werdet Ihr jetzt die Nation von Napoleon trennen? Ich meines Orts erkläre, daß ich nur
einen Mann
zwischen uns und dem Frieden sehe!« So hofften Alle in Napoleon's Abdankung das Mittel zu finden, den Feind aufzuhalten, den Frieden unmittelbar wieder herzustellen, und die Herrschaft einer neu zu wählenden Regierung vorzubehalten. – Unter diesen Verhältnissen blieb Napoleon kein Ausweg, als ein zweites Mal freiwillig zu
Gunsten seines Sohnes
und einer Regentschaft zu entsagen. Aber anstatt eine solche einzusetzen, wählten die Kammern eine
provisorische
Regierung
, die mit den fremden Mächten unterhandeln sollte, und die Bonapartisten waren durch diesen Streich vollkommen beseitigt. – In eigenthümlicher Verblendung nährten Lafayette und sein Schützling nun die Idee, die Verbündeten würden sich nach ihrem zweiten Siege nicht weniger gefällig finden lassen, als das erste Mal. Weil sie damals nichts gegen die Wiederherstellung der Bourbonen unternommen, dieselbe gewähren ließen, und am Ende auch annehmen und glauben durften, daß
Frankreichs Wille
es sei, der dieselben wieder zum Throne berief, glaubte Lafayette die Großmächte würden jetzt ebenso schnell die Linie der
jüngeren Bourbonen
als die demnächstigen Herrscher Frankreichs anerkennen.
Es lag doch wohl auf der Hand, daß es in diesem Augenblick für die auswärtigen Mächte in Frankreich nur
eine legitime Macht
gab, die der älteren Bourbonen, mit denen sie den Pariser Frieden abgeschlossen hatten und deren Bevollmächtigter, Talleyrand, sich noch in Wien auf dem Congresse befand. Während nun Lafayette umherirrend nach den Verbündeten suchte, um seine Orleans anzubringen, und
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