Deutsche Geschichte Von 1815-1870
Tag des Zögerns brachte größeren Verlust. Mit jedem Tage mußten in Folge eines unzweckmäßigen Abwartens die radicalen Elemente mehr in die Höhe kommen, mußten Extreme hervortreten, die dann später den Unentschlossenen und Halben bis zu einem gewissen Grade Recht gaben, daß sie die gute Sache muthlos verließen; aber, warum kamen sie dem nicht zuvor, warum nahmen sie nicht die Bewegung, so lange sie noch groß und rein war, in die Hand, anstatt dieselbe an sich selbst schmählich zu Grunde gehen zu lassen?
Unterdessen schlug der preußische Soldat nicht in Dresden allein, sondern auch bei sich zu Hause, überall ohne Scheu und Bedenken zu, wo sich ein schicklicher Anlaß dafür bot, während sein süddeutscher Kamerad mit dem Bürger gemeinsame Sache machte. Einen Hauptschauplatz dafür bot die Festung
Rastadt
; dort verbrüderten sich zuerst die Truppen mit der Bürgerwehr, schwörend, die Verfassung schützen und durchführen zu wollen mit Hab und Gut. Diejenigen Offiziere welche sich ihnen widersetzten, mußten flüchten, und am 13.
Mai
wählten Truppen und Bürgerwehr vereint, den sogenannten
badischen Landesausschuß zur Wahrung der Ordnung und Sicherstellung der Reichsverfassung
, der aus 26 Mitgliedern bestand, unter denen sich auch Militärpersonen befanden. Eine aus diesem Landesausschuß hervorgehende Vollzugsbehörde bestand aus
Brentano
dem bekannten Kammermitglied,
Peter Goegg
und
Eichhold
. Struve und Karl Blind, die noch vom September her im Gefängniß zu Bruchsal saßen, wurden jetzt daraus befreit, und über den Ocean hinüber lief die Kunde des Geschehenden, Hecker wieder in das Vaterland zurückzurufen.
Um den Rastadter Kern schaarten sich nun fast alle badischen Truppen, und da am 11. Mai wie schon erwähnt, die zweite Kammer die Reichsverfassung beschworen hatte, konnte man glauben, nun dafür in Baden einen festen Anhaltsund Mittelpunkt gewonnen zu haben, und billigerweise mögen wir uns an dieser Stelle fragen, warum hatte nicht einer der süddeutschen Fürsten den Muth, jetzt sich und sein Land an die Spitze der nationalen Bewegung zu stellen? Wenn man die ganze Lage zusammenfaßt, wenn man sich erinnert, wie damals die Stimmung war, so darf man mit Zuversicht die Vermuthung aussprechen, daß ein solcher Fürst in jenen Tagen auf den Schultern der ganzen Nation zum Kaiserthrone getragen worden wäre. Aber Deutschland sollte noch länger den Fluch seiner Zerrissenheit dulden – am 14. Mai brach ein Tumult in Karlsruhe aus, bei dem die Garnison betheiligt war, und dort, wie in Dresden wendete der Landesfürst sich augenblicklich zur Flucht und begab sich nach Frankfurt. So fiel dem kaum erst geschaffenen Landesausschuß von selbst die Function zu, das Land zu verwalten; das Entweichen des Fürsten nöthigte auch hier zu republikanischen Formen.
Brentano
, der den Großherzog vergeblich beschworen hatte, nicht zu gehen, weil er nichts zu fürchten habe, trat nun, wenn auch ungern, an die Spitze der Regierung, während die wenigen dem Fürsten noch treu gebliebenen Truppen von ihrem General nach Ladenburg am Neckar abgeführt wurden.
In der Pfalz waren die Dinge ähnlich verlaufen; am 17.
Mai
wurde in Kaiserslautern beschlossen, eine
provisorische Regierung
für die Reinpfalz einzusetzen, deren Mitglieder aus Abgeordneten des Parlaments und der Kammer bestanden, unter ihnen befanden sich der bekannte National-Oekonom
Kolb
aus Speyer und der Dr.
Hepp
. Man beschloß nun gegenseitig zwischen Baden und Pfalz ein Schutz- und Trutzbündniß abzuschließen und von dieser süddeutschen Ecke aus der Reichsverfassung weiteren Boden zu gewinnen; doch trat von nun an, durch die Verhältnisse begünstigt, die radicale Parthei mehr in den Vordergrund und mit ihr der Gedanke, die Republik an die Stelle der Monarchie zu setzen, und durch diese, da denn doch die Fürsten es verschmähten, die Einheit zu begründen. – Von allen Seiten strömten Freischaaren herzu, unter denen sich namentlich das Hanauer Turnercorps hervorthat, welches nicht blos aus Turnern bestand, sondern unter dessen Fahne sich eine Elite trefflicher, junger Männer aus verschiedenen Orten zusammenfand, die eine Truppe bildeten welche sich von jedem Excesse fern hielt, und dabei, wo es galt, mit kühnster Todesverachtung kämpfte.
Heimlich entwichen die Studenten von den Universitäten, die jungen Handwerker aus der Werkstatt, um Freicorps zu bilden; der Dichter und Professor Gottfried Kinkel kam vom Rhein herauf mit einer
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