Deutsche Geschichte Von 1815-1870
Lande die alte ständische Verfassung aufrecht erhalten, d.h. jene Art der Vertretung, welche den einzelnen
Stand –, des Adels, der Geistlichkeit
und der
Bürger
repräsentirt, nicht zu verwechseln mit den nun geforderten und garantirten
Landständen
, die nicht mehr einen besonderen Stand, sondern die Gesammtheit des Volkes, hervorgegangen aus allgemeinen Wahlen, vertreten sollten. Man nannte und nennt noch jetzt bei uns, nach der alten Weise, diese Landesvertreter »
Landstände
«, ihre Versammlungen »
Landtage
«, während thatsächlich die heutigen Konstitutionen auf dem Repräsentativ-System beruhen. – Karl August war jetzt der Erste unter den deutschen Fürsten, die ihrem Lande die versprochene Repräsentativ-Verfassung gaben, indem er schon im Januar 1816 eine berathende Versammlung zu der Ausarbeitung einer Konstitution berief, und der er in folgenden Worten seinen Willen erklären ließ: »Die für Deutschland aufgegangenen Hoffnungen sollen in meinem Lande, die Lehre der außerordentlichen Schicksale benützend, verwirklicht werden!« Damit übereinstimmend verlegte er das Ordensfest des »Falkenordens«, auf den 18. October, in die Stunde, wo nach dem Vorschlage von
Arndt
zur Erinnerung an die Völkerschlacht von Leipzig, auf allen Bergen Deutschland Freudenfeuer emporlodern sollten. Im gleichen Geiste zog er freisinnige Männer nach Jena,
Luden
, den Geschichtsschreiber,
Oken
, den Naturforscher,
Kieser, Fries
u. A., um die sich nun freudig die Jugend, noch von Fichte's Geist beeinflußt, sammelte. Ebenso fand die freie Zeitungspresse in Jena eine unangefochtene Stätte, und feurig suchte man durch dieselbe dort und an andern Orten, namentlich geschah dies durch
Arndt
und
Görres
, auf jede Weise die Gedanken an deutsche Freiheit und deutsches Wesen zu fördern, dem man als Gegensatz das Franzosenthum gegenüber stellte. Leider that man es mitunter in sehr übertriebener Weise, ungefähr so, wie Tag und Nacht sich von einander scheiden, und beide genannte Männer geriethen dadurch immer tiefer in mittelalterliche Ideen und Vorstellungen.
Arndt
träumte von der Gründung eines neuen deutschen Ritterordens an der Westgrenze, zur Erhaltung deutscher Herrlichkeit und Ehre, und bei Görres gewahren wir, wie er sich von da an mehr und mehr der römischen Kirchenmacht und ihren mittelalterlichen Ordnungen zuneigt. Gesund waren diese Uebertreibungen gewiß nicht, ihren Gipfelpunkt aber erreichten sie in dem
Turnvater Jahn
, der den Franzosenhaß und die Deutschthümelei geradezu auf die Spitze trieb. Er ging bis auf die
Cheruskerzeit
zurück, eiferte für die Reinheit der deutschen Rede, wollte nicht dulden, daß noch das Französische gelernt werde, und schlug sogar vor, zum Schutze gegen die Franzosen am Rhein einen Urwald zu pflanzen, der nur von Auerochsen und Büffeln bewohnt werden sollte. – Ein mittelmäßiger Kopf und von mittelmäßigem Wissen, legte Jahn den Schwerpunkt der männlichen Erziehung in die Gymnastik oder Turnerei, überzeugt, daß durch die Körpererziehung auch die sittliche und vaterländische Erziehung gewährleistet werde. Er wollte »der einseitigen Vergeistigung die wahre Leibhaftigkeit« zuordnen, und es konnte nicht fehlen, daß er die freisinnige und vorwärtsstrebende Jugend schnell für sich gewann, daß sie ihn zu ihrem Hauptführer erkor. Sie wollten ihm folgen, wie es in einem ihrer Lieder heißt: »für des Volks urheilige Rechte auf der Freiheit Rennlaufsbahn!« –
Schonungslos und übertrieben waren denn auch die Reden des »Alten im Barte« (wie man
Jahn
nach seinem langen Barte nannte), er sprach immer nur von Zwingherrenthum, von Gift und Fesseln, die bereit wären »das gottbegeisterte Volk in Schlaf zu lullen« u.s.w.
Jahn machte kein Hehl daraus, daß er in der Bruderschaft aller deutschen Turner einen offenen Bund sah, durch den man das ganze deutsche Staatsleben vom Turnplatz aus neu zu reformiren vermöge, oder wie er sich ausdrückte: »aus dem Baum der Turnerei müsse der Freiheit Wiege, der Sarg der Tyrannei gezimmert werden.« –
Man fürchtete und duldete in Berlin, dort lebte Jahn zu jener Zeit, den eigenthümlichen und derben Mann, der durch seine äußere Erscheinung und Kleidung – er trug stets den schwarzen altdeutschen Rock mit umgeschlagenem Hemdkragen – sich ebenso auffällig machte, wie durch seine Redeweise. Aber gefährlich war er nicht, dazu trat er viel zu offen auf, und wie viel Wahres in seiner Behauptung, daß in einem gesunden
Weitere Kostenlose Bücher