Deutsche Geschichte Von 1815-1870
tief miteinander gelitten, trotzdem gerade aus diesem Mitgefühl die außerordentliche Begeisterung seiner Preußen und Deutschlands für ihn erwuchs, war es ein schlimmes Zeichen, daß er nie ein rechtes Herz, ein rechtes Vertrauen zu dem eignen Volke fassen konnte und am Ende seine Rettung lieber dem Himmel, als der frischen Kraft einer begeisterten Nation danken mochte. – Was nützte denn auch jetzt seine religiöse Gesinnung, sein Grübeln über die heilige Schrift (weßhalb ihn seine frommen Freunde den
Theologus
nannten), da es galt, ein gegebenes Wort einzulösen und einigen verirrten, oder besser gesagt, überspannten Unterthanen ein gütiger und verzeihender Vater zu sein. Es zog ihn ein tief sympatischer Zug hinüber zu Metternich und dem Gesetze der Trägheit und Starrheit, nach welchem Jener handelte. Sein Lieblingsausdruck war:
Calmiren
! und so erschrak denn seine zaghafte und ängstliche Natur bei jedem lauten Wort des Volksgeistes oder der öffentlichen Meinung, und mit rücksichtsloser Härte und Grausamkeit wurde die gewünschte »Stille« in Preußen erzwungen. Was aber die vorenthaltene Verfassung anbetrifft, so hat auch dafür Bischof
Eylert
das beschönigende Wort, indem er sagt: »Der König habe gehandelt wie ein weiser Vater, der gerührt von der anhänglichen Liebe seiner Kinder an seinem Geburts- oder Genesungstage gefällig ist, und in ihre Wünsche eingeht, dann aber mit Ruhe dieselben modificirt und seine väterliche Autorität aufrecht hält!« –
Es ist in diesem Satze die ganze Regierungsmaxime jener Tage enthalten – alle Verfassungsgelüste sollten, so war man insgeheim entschlossen, in Oestreich und in Preußen nun überhaupt beseitigt werden; die Krönung von Metternich's Politik war die berüchtigte
Wiener Schlußacte
. – Auf die Karlsbader Conferenz folgte im Winter von 1819 auf 20 eine zweite Ministerversammlung in
Wien
zu dem Zwecke, die Bundesacte noch einmal zu revidiren und sie im Sinne der Karlsbader Beschlüsse noch einmal
zu verbessern
. – Es war das feste Ziel Metternich's, alle Gedanken an Repräsentativverfassungen wieder vollständig auszulöschen, und er bemühte sich daher, den
Artikel 13
der Bundesacte, welcher Verfassungen verhieß, dahin auslegen zu lassen, daß darunter nur die Neubelebung der
alten Stände
zu verstehen sei, und daß jede andere Verfassungsform der Absicht und dem Geiste des Artikels zuwider laufe. Die moderne Repräsentativverfassung wäre, wenn ihm dies gelungen, damit vollständig beseitigt gewesen. Dagegen erhob sich nun mit aller Kraft der würtembergische Gesandte; gerade jetzt war bei ihm zu Hause der Verfassungsstreit glücklich beendigt worden, und er erklärte, daß ein Zurückziehen des Vertrags in Würtemberg zwischen Fürst und Volk nur neue und schlimmere Gährungen hervorrufen würde. Unterstützt von
Baiern
und
Baden
gelang es ihm denn auch, diesen Angriff abzuschlagen, dagegen beschloß man, an dem anderen Grundsatze festzuhalten, daß die den Ständen einzuräumende, gesetzgebende Gewalt nie so weit gehen dürfe, um sie in einen Widerspruch mit der
Bundesacte
zu bringen. Durch diese Bestimmung wurde denn, trotz aller Proteste, das Wesen des Constitualismus bereits in der Geburt vollständig entkräftet, und es beginnt damit die Zeit des sogenannten
Scheinconstitutionalismus
, der ja selbst bis heute noch nicht ganz bei uns überwunden ist, und durch sein hohles Wesen sogar vielfach in Deutschland das parlamentarische Leben in argen Mißcredit gebracht hat. –
Für Oestreich und Preußen war es durch diese geschickte Revision entschieden, daß sie mit ihren alten Provinzialständen in absoluter Weise ruhig weiter regieren konnten. Als weitere Bestimmung wurde noch in der neuen Acte stärker als zuvor, die
Stimmeneinhelligkeit
des Bundes in solchen Fragen betont, wobei es sich um
organische
Einrichtungen handelte und zugleich erklärt, daß die Bundesversammlung keinerlei Competenz habe, etwa entstehende Streitigkeiten zwischen dem Landesherrn und seinen Ständen zu entscheiden.
In solchem Sinn und Geiste besiegelte jetzt die berüchtigte
Wiener Schlußacte
den kleinlich polizeiartigen Charakter
des Bundes
, der sich nicht einmal zu äußerlichen, materiellen Einrichtungen gebrauchen ließ. Als an den Artikel 19
erinnert wurde
, der die Handels- und Verkehrsverhältnisse Deutschlands zu ordnen empfahl, meinte Fürst Metternich, eine allgemeine deutsche
Handelsgesetzgebung
werde doch wohl nur ein frommer Wunsch
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