Deutsche Geschichte Von 1815-1870
denn den Protestantismus suchte man auf's Aergste zu bedrücken, und ein prägnantes Beispiel dafür bot noch im Jahre 1834 die bekannte Auswanderung der
Zillerthaler
, 400 an der Zahl, die nach Preußen auszogen, wo sie, weil man daheim ihnen die protestantische Religionsübung versagte, freundliche Aufnahme und Zuflucht fanden, wie einst so viel früher die ausgezogenen Salzburger Protestanten sie bei dem großen Kurfürsten gefunden. – Am schwersten drückten die religiösen und civilen Verordnungen auf die Schulen und Universitäten; es war z.B. den Kindern durch Schulgesetze vorgeschrieben, wie sie sich zu Hause auf den Schulgang vorbereiten, wie ihn zurücklegen sollten; wie sie sich während des Unterrichts zu bewegen, zu sitzen, Hände und Füße zu halten hatten, ja, wie sie sich am Ofen, auf der Treppe und an andern Orten zu benehmen hätten. Dieselbe Abrichtung, derselbe Mechanismus sollte geistig auf den Gymnasien und auf den Universitäten herrschen; die Naturlehre war aus den Programmen verbannt, Geschichte und Geographie sehr beschränkt, in den Sprachen wurde fast nichts geleistet, und damit die Lehrer und Professoren nicht zu eifrig nach verbotenen Früchten suchten, gab die kaiserliche Bibliothek keine Handschrift, kein Buch nach Hause, worüber nicht der Bibliothekar jährlich Bericht erstatten mußte. So sind ja auch erst in den letzten Jahren die östreichischen Archive geöffnet und damit eine unbefangene Geschichtsforschung über den Kaiserstaat ermöglicht worden. – Eine Hauptrolle spielten die Religionszeugnisse und Examina's; kein Brautpaar wurde getraut, ohne ein Solches durchgemacht zu haben; die Professoren wurden zur Beichte angehalten, ja, die Hirten sogar bekamen die Obhut über Kühe und Rinder nur dann, wenn sie ein Religionszeugniß beibringen konnten. Wie wurden aber erst die Schulkinder mit der Religion geplagt, – jeden Morgen eine Messe, sechsmal im Jahr Beichte, kein Schüler, war er auch noch so ausgezeichnet, wurde versetzt ohne genügendes Religionszeugniß; wie diese religiöse, so breitete sich auch eine weltliche Polizei über den ganzen Kaiserstaat aus, die an Spionage, Feinheit und Schlechtigkeit geradezu unübertrefflich war. – Hand in Hand damit ging die Absperrung alles geistigen Lebens, welches von Außen hätte eindringen können, sowie die Ueberwachung von Fremden und Einheimischen, die sich den Luxus ernsterer geistiger Beschäftigungen erlaubten. Eine Gesellschaft junger Schweizer, in Wien lebend, die sich zu wissenschaftlichen Zwecken verbunden, aber 1817 wieder aufgelöst hatte, wurde 1819 verfolgt, verhaftet, 10 Monate lang eingekerkert, ohne daß sie den Ihrigen Nachricht geben durften, endlich entlassen und »aus Gnade« des Landes verwiesen. Man behauptete, in ihren Statuten seien Grundsätze der Freimauerei enthalten gewesen, und von dem einen der jungen Männer sagte die Wiener Polizei aus: »daß er nach ihrem Dafürhalten ein zweiter
Marat
geworden wäre, wenn er –
30 Jahre früher gelebt hätte
!«
Ebenso wurden die Dichter
Grillparzer, Castelli
und
Zedlitz
verfolgt, weil sie, einer humoristischen Gesellschaft, der Ludlamshöhle, angehörend, scherzhafte Reisepässe ausgestellt hatten, hinter denen man gleichfalls eine Verschwörung witterte. – Jedermann begreift, wie unter solchen Verhältnissen ein Dichter, wie
Grillparzer
später fast verschollen in Wien leben konnte, und wie er die Erzeugnisse seiner Muse ängstlich vor der Oeffentlichkeit hütete, – da die Wiener Bühne bald nur noch Raum hatte für gemeine und possenhafte Darstellungen. Die hier gegebenen Beispiele ließen sich in's Tausendfache vermehren, und sie wären oft nur einfach lächerlich, wenn sich nicht eben so viel Grausamkeit, wie persönliche Verfolgungssucht und Engherzigkeit damit gepaart hätten. Der östreichischen Bevölkerung jedoch mußten sich Heuchelei, Verdummung, eine unbändige Genußsucht und Frivolität bemächtigen, und namentlich die Wiener wurden davon ergriffen; man suchte darin das Vergessen aller höheren Güter, die ein freies Volk beglücken. – Aber der Geist der Zeiten ließ sich nicht spotten, und Metternich sollte dies gar bald auch an dem Kaiserstaate erfahren, den er so künstlich wieder zusammengezimmert hatte. –
Siebente Vorlesung
Lage Italien's. Die Carbonari. Befreiungskämpfe der Griechen. Congresse von Troppau, Laibach und Verona. Tod Alexander's von Rußland. Kaiser Nikolaus. Bildung eines neuen griechischen Staates.
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