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Deutsche Geschichte Von 1815-1870

Titel: Deutsche Geschichte Von 1815-1870 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luise Buechner
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Artois erklärte, er werde die Tuilerien verlassen, wenn Decazes bleibe, und so mußte Ludwig XVIII. nothgedrungen seinen Günstling aufgeben und Veränderungen an der
Charte
, namentlich an dem Wahlgesetz, vornehmen lassen. Seit 1815 hatte man dieses Wahlgesetz so oft beschnitten und umgewandelt, daß jetzt das Wahlrecht nur noch 12–13000 Leuten, und zwar den reichsten, in die Hand gegeben war. Was Wunder, daß es da in den Straßen von Paris zu öfterem Blutvergießen kam, so auch bei der Hinrichtung Louvel's, die am 7. Juni 1820 erfolgte und daß eine große Militärverschwörung sich bildete, die jedoch verrathen wurde, was die Macht der Regierung wiederum verstärkte. – Gränzenlos aber war der Jubel aller Königlichgesinnten, als nun am 29. September 1820 die Wittwe des Herzogs von Berry, Frankreich einen legitimen
Thronerben
durch die Geburt eines Sohnes gab. Fernerstehende sahen darin nur den Anlaß zu erneuten Kämpfen, und prophetisch klingt das Wort des Herzogs von Wellington, der, als er die Kanonenschläge vernahm, die einen
Prinzen
verkündigten, ausrief: »Dies ist das Todtengeläute der Legitimität!« – Dieses Kind, der junge Herzog von Bordeaux, ist der heutige Graf von Chambord,
Dien-Donné
, wie ihn die Taufe benannte, das »Kind Europa's«, wie ihn die Diplomatie, das »Wunderkind«, wie ihn die Royalisten begrüßten. – Daß er, obgleich ein Sohn des 19. Jahrhunderts, doch, wie die Anderen, Legitimist und Bourbon geworden ist, vom Scheitel bis zur Sohle, dies haben uns die jüngsten Partheikämpfe in Frankreich gelehrt, doch man kann ihm dabei das Zeugniß eines ehrlichen Mannes, der seinen Standpunct offen vertritt, nicht versagen; möge trotzdem der Himmel Frankreich vor dem Geschick bewahren, ihn auf einem neu aufgerichteten Throne zu sehen! –
    Durch die Geburt dieses Kindes hatte nun endlich Graf Artois die Oberhand gewonnen; seine Parthei bildete jetzt ein neues Ministerium, und 1823 sehen wir unter Anführung des Herzogs von Angoulême, ein französisches Heer über die Pyrenäen ziehen, um durch eine »bewaffnete Intervention«, die treulosen Pläne König Ferdinands unterstützend, die Verfassung von 1812 wieder zu beseitigen. Der König, von den Cortes, die Madrid vor den heranrückenden Franzosen verlassen mußten, genöthigt, ihnen zuerst nach Sevilla, dann nach Cadix zu folgen, wurde durch französische Waffen wieder in sein Escurial zurückgebracht, und es begann eine Gegenrevolution, die Spanien allerdings Ruhe gab, aber »die Ruhe eines Kirchhofs.« – Diese Intervention jedoch, das erste Resultat der neuen Allianz-Congresse, von denen wir allsobald hören werden, hängt mit noch weiteren und größeren Ereignissen zusammen, die gleichzeitig auf der italienischen Halbinsel sich begaben. – Werfen wir darum jetzt einen Blick auf die östreichischen Länder.
    Von dem System der Trägheit und des Stillstandes, welches Metternich übte, unterstützt durch Friedrich von Gentz, seinem geistvollen Staatssecretair, dessen Wandlung zu dem gefügigsten Werkzeuge der Reaction sich nun vollständig vollzogen hatte, haben wir bereits gehört.
Gentz
, von so nervöser Furchtsamkeit, daß ein Gewitter ihn entsetzte, und er sich kindisch vor bösen Gänsen fürchtete, war zu jeder Maßregel bereit, die ein politisches Gewitter fern halten konnte, und Kaiser Franz mochte wohl gelegentlich einmal sagen, wenn er, trotz aller Stumpfheit, das Rollen einer neuen Zeit vernahm: »Na, mich und den Metternich hält's noch aus!« – Mit doppelter Wucht mußte folglich ein System, das solche Träger hatte, auf
Oestreich selber
drücken, noch mehr auf die mit seiner Krone verbundenen Länder. Nirgends sonst sehen wir den Character des väterlichen Regiments, das den Fürsten als Herrn und Vater des Volkes darstellte, so scharf betont, als dort. Am besten belehrt uns darüber der Blick in ein Volksschulbuch über: »die Pflichten der Unterthanen«. Darin wurden die Schüler angewiesen, »ihre Herrschaft wie Vater und Mutter zu ehren, wie Diener ihren Herrn, denn der Herrscher sei ihr Herr und
habe alle Macht über ihr Leben und ihren Besitz
«. So nackt und unverhüllt trat denn doch der Absolutismus sonst nirgends auf, – und dem entsprechend wurde Alles behandelt, was sich etwa noch von altständischem Geiste in den deutschen Provinzen regen mochte. Dagegen wurde die Kirche in einem Lande, wo kaum erst noch der Geist eines Joseph geleuchtet, als Schoßkind behandelt, aber nur die katholische,

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