Deutsche Geschichte
Prager Fenstersturz
In bewusster Anlehnung an den Vorfall von 1419 verabredeten sich im Böhmischen Aufstand zweihundert Jahre später die oppositionellen Adligen um den Grafen Thurn, um mit den kaiserlichen Statthaltern, die ihnen Versammlungsverbot auferlegt hatten, in gleicher Weise zu verfahren. Am 23. Mai 1618 zogen rund 100 Delegierte der protestantischen Stände Böhmens, begleitet von einer ungeheuren Volksmenge, zur Prager Burg, dem Hradschin. Sie trafen die kaiserlichen Räte Slawata und Martinitz und den Sekretär Fabritius in der Ratskammer an. Nach kurzem heftigen Wortwechsel griffen die Aufrührer mit den Worten zu: „Nun wollen wir uns wider unsere Religionsfeinde rechtschaffen verhalten!“ Martinitz, unaufhörlich „Jesus, Maria!“ rufend, flog als erster hinaus. „Wir wollen sehen, ob ihm seine Maria helfen wird“, höhnte einer der Adligen hinterher, um dann verblüfft festzustellen, dass der in den Schlossgraben Gestürzte tatsächlich noch am Leben war.
Beginn der Schlacht um Böhmen
Das Gleiche geschah mit Slawata und dem Sekretär, die ebenfalls hinausgeworfen wurden. Nur gering verletzt, konnten sie sich davonmachen. Hastig hinter ihnen hergesandte Schüsse verfehlten ihr Ziel. In seinen Lebenserinnerungen führte Slawata es auf die Fürbitte der Jungfrau Maria zurück, dass ihm der Sturz – immerhin 17 Meter tief – „an seiner Gesundheit trotz seines schweren Leibes nichts geschadet“ habe, nach anderen Zeugen soll es ein Misthaufen gewesen sein, der den Fall gedämpft hat. Aber auch ohne Todesopfer wirkte das Fanal: Die zum Kampf entschlossenen böhmischen Stände setzten ihr Landaufgebot in Bereitschaft, am 9. Juni wurden die Jesuiten als die Vorkämpfer der Gegenreformation des Landes verwiesen. Im August überschritt das erste kaiserliche Heer die böhmische Grenze, die Schlacht um Böhmen begann. Sie sollte sich zum Dreißigjährigen Krieg auswachsen.
Böhmischer Majestätsbrief
Grundlage der ständischen Autonomie und Selbstregierung in Böhmen war ein Dokument, das die drei Stände der Herren, Ritter und Städte sich am 9. Juli 1609 von Kaiser Rudolf II. (regierte 1576-1612) hatten unterschreiben lassen. Ihm blieb angesichts seiner Auseinandersetzungen mit seinem Bruder Matthias (Kaiser 1612–1619) und einem drohenden Aufstand in Böhmen (das Volksaufgebot war bereits einberufen) keine Möglichkeit zur Ablehnung. Dieser Majestätsbrief erneuerte die Gültigkeit des Augsburger Religionsfriedens, er gab Religionsfreiheit und untersagte jeglichen gewaltsamen Bekehrungsversuch. Die Protestanten durften die Prager Universität neu eröffnen und Schulen und Kirchen gründen. Wichtiger noch war die Übertragung von Staatshoheiten, insbesondere des Kirchenregiments, vom Monarchen auf die Stände. Nach dem Zusammenbruch des Böhmischen Aufstandes im November 1620 wurde der Majestätsbrief von Kaiser Ferdinand II. (regierte 1619-1637) kassiert. Dass er ihn auch eigenhändig zerschnitten haben soll, ist Legende
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Prager Fenstersturz 1618, Kupferstich von Matthäus Merian d. Ä. (1593-1650). Handgemenge beim Ergreifen der kaiserlichen Räte und Wurf aus dem Fenster des Hradschin, der Prager Burg
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Der Westfälische Frieden
Ende des Dreißigjährigen Krieges (1648)
Angesichts der divergierenden Interessen der vielen Kriegsparteien und verästelten Bündnisse erscheint es noch im Nachhinein wie ein Wunder, dass ein Heer von insgesamt 148 Delegierten aus aller Herren Länder in nur vier Jahren einen dreißigjährigen Konflikt fast sämtlicher europäischen Mächte im Verhandlungswege beendete und einen – fast noch erstaunlicher – tragfähigen Kompromiss zustande brachte. Der Krieg, der von den Gegensätzen zwischen protestantischen und katholischen Fürsten in Deutschland seinen Ausgang nahm und sich in langwierigen, verheerenden Feldzügen hinschleppte, zog eine furchtbare Blutspur vor allem durch Mitteleuropa.
Abwicklung des Krieges
Es galt, die riesigen Armeen loszuwerden, die noch auf Deutschlands Boden standen. Die Schweden sollten fast 100 000 Mann abrüsten, die Kaiserlichen etwa 70 000, dazu noch Zehntausende von Menschen, die mit den Soldaten gezogen waren, Frauen und Kinder, wieder ins zivile Leben integrieren. Erschwerend kam hinzu, dass es sich mehrheitlich um Berufssoldaten handelte, die außer dem Kriegshandwerk nichts gelernt hatten. Die Friedenssehnsucht mochte unter der Bevölkerung überwältigend sein, unter den
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