Deutsche Geschichte
erscheinen. Die bald galoppierende Inflation war die unmittelbare Folge, so dass politische Bemühungen um verträglichere Zahlungsbedingungen einsetzten. 1929 wurden schließlich im Young-Plan 59 Jahresraten (also bis 1988) von 34,5 Milliarden Reichsmark festgesetzt. Auch das erwies sich in der Weltwirtschaftkrise als illusionär. Nach einer einjährigen Zahlungspause 1931/32 und einer Schlusszahlung von drei Milliarden Reichsmark wurden die Reparationen im Lausanner Abkommen vom 9.6.1932 ganz gestrichen. Bis dahin waren 53 Mrd. Goldmark an die Siegermächte geflossen, was bei wachsender Verarmung den radikalen Parteien in Deutschland Auftrieb gab, allen voran der NSDAP, die nach Hitlers Machtergreifung die Früchte des Schuldenerlasses erntete. So entstand der falsche Eindruck, Hitler habe das Land von der ungeheuren Last der Reparationen befreit
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Der Vertrag von Versailles
In 440 Artikeln wurde Deutschland gezwungen, folgende Punkte zu akzeptieren: 1. Die Satzung eines neuzugründenden Völkerbunds. – 2. Gebietsabtretungen ohne (Elsass-Lothringen, Westpreußen-Posen, Hultschiner Ländchen, Memelland, Danzig, alle Kolonien) und mit Volksabstimmungen (Ostoberschlesien, Eupen-Malmedy, Nordschleswig) sowie den zeitweiligen Verlust des Saarlands. – 3. Militärische Beschränkungen wie die Besetzung des linken Rheinufers durch alliierte Truppen, die Entmilitarisierung des Rheinlands, die Begrenzung des Feldheers auf 100 000 Mann und der Marine auf 15 000 Mann, den Verzicht auf schwere Waffen (Panzer und Flugzeuge), die Auslieferung allen Kriegsmaterials, die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht und die Kontrolle der Rüstung. – 4. Wirtschaftliche Folgen wie die Zahlung von Reparationen in Geld (siehe Kasten) und Sachleistungen (Fabriken, Kohle, Maschinen, Vieh usw.), die Auslieferung der Handelsflotte, die Beschlagnahme des gesamten Auslandsvermögens (auch des privaten). – 5. Anerkennung der alleinigen Kriegsschuld.
Artikel 231
Vor allem dieser Artikel 231 mit der – so empfanden es nahezu alle – „Kriegsschuldlüge“ erbitterte die Menschen in Deutschland. Hier setzten die Rechtsparteien, und hier setzte auch Hitler bald darauf propagandistisch an. Versailles sollte sich als einer seiner erfolgreichsten Wahlhelfer erweisen.
Unterzeichnung des Friedensvertrags im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles am 28. Juni 1919, Gemälde von Sir William Orpen (1878-1931). In der Mitte Frankreichs Ministerpräsident Clemenceau (mit weißem Schnauzbart)
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(c) dpa/Picture-Alliance, Frankfurt: S.
Politischer Mord
Der Tod Walther Rathenaus – die Reaktion der Rechten (1922)
Opfer blindwütige Fanatiker: Reichsaußenminister Walther Rathenau (1867-1922). Einen seiner letzten politischen Erfolge erzielte er eher am Rande: Während des Weltwirtschaftsgipfel in Genua 1922 traf sich Rathenau im April im nahen Rapallo mit Vertretern der jungen Sowjetunion und erreichte die Wiederaufnahme von diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Kriegsverlierern. Außerdem einigte er sich mit den Sowjets auf Verzicht von Kriegsentschädigungen. Rathenaus Coup machte ihn bei seinen Feinden auf der Rechten, die ihn als Juden ohnedies verteufelten, noch verdächtiger. Das später oft bemühte „Gespenst von Rapallo“ nahm Gestalt an. Wollte der gewiegte Politiker und erfolgreiche Unternehmer (AEG) dem Bolschewismus ein Hintertürchen nach Mitteleuropa öffnen? So absurd diese Vorstellung war, ließ sie doch Pläne reifen, den gefährlichen Mann zu beseitigen. Die rechtsradikal-brutale Parole wirkte: „Schlagt tot den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau.“
Von fünf Schüssen getroffen
Ehemalige Offiziere, die dem Geheimbund „Organisation Consul (OC)“ angehörten, nahmen das wörtlich. Am 24. Juni 1922 wurde Rathenau, in einem offenen Auto unterwegs in sein Ministerium, von einem anderen Wagen überholt, dessen Insassen das Feuer auf ihn eröffneten und eine Handgranate warfen. Von fünf Schüssen getroffen, brach er zusammen. Sein Fahrer wendete und raste zurück. In seinem Haus wurde Rathenau auf den Boden gebettet. Er starb, bevor noch der Arzt eintraf. Rathenau war nur eines von insgesamt über 300 Opfern politischer Morde in der Frühzeit der Republik, und in ihm hatten die Täter wieder einen „Novemberverbrecher“ getroffen, einen Politiker, den sie für die Revolution 1918 und damit für die Niederlage im Weltkrieg mitverantwortlich machten. Der Unterzeichner des Waffenstillstands,
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