Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
und Saufens». Nahrung war damals in den meisten Regionen reichlich vorhanden, auch Werkleute und Taglöhner konnten sich täglich mit Fleisch versorgen. Nicht nur in den katholischen Landen, auch an evangelischen Tafeln ging es bisweilen üppig zu: «Bei einem Essen, das der Nürnberger Doktor Christoph Scheurl zu Ehren Melanchthons veranstaltete, gab es folgende Gerichte: Saukopf und Lendenbraten in saurer Sauce; Forellen und Äschen; fünf Rebhühner; acht Vögel; einen Kapaun; Hecht in Sülze; Wildschweinfleisch in Pfeffersauce; Käsekuchen und Obst; Pistaziennüsse und Latwergen; Lebkuchen und Konfekt. Diese Unmenge von Fisch, Schwein, Geflügel und Süßigkeiten vertilgte eine Tischgesellschaft von nur zwölf Personen; dazu tranken sie so viel Wein, dass auf jeden dritthalb Liter kamen.»
Auch der Reformator Martin Luther lebte gern im Hier und Jetzt und galt als tüchtiger Esser: «Darf unser Herrgott gute, große Hechte, auch guten Rheinwein machen, so darf ich wohl auch essen und trinken», so seine Devise. Hat nicht Christus selbst auf der Hochzeit zu Kanaan für reichlich Wein und Brot gesorgt? Wie kann da die Völlerei eine Todsünde sein? Auf dem Gelände des Schwarzen Klosters zu Wittenberg führte seine Frau Katharina die Wirtschaft. In den Ställen tummelten sich Schweine, Pferde, Rinder, Zicklein, Hühner, Gänse und Tauben. Luther liebte die deftige Hausmannskost, und die patente Gattin war auch im Schlachten und Wurstmachen geübt. Im Klostergarten wurden Erbsen, Kohl, Rüben und Saubohnen gezogen, aber auch Kürbisse und Melonen. Auf den Wiesen reihten sich Obstbäume aller Art, sogar Pfirsiche und Feigen wurden dort angebaut. Es gab einen Weinberg und einen Hopfengarten, in den Bächen und Weihern tummelten sich Karpfen, Hechte und Forellen. All dies hielt die «gnädige Jungfer Katherin Lutherin von Bora und Zulsdorf» am Laufen – zusammen mit mehreren Dienstmägden, Knechten und Sauhirten. Kein Wunder also, dass bei den regelmäßigen Tafelrunden im Kloster, die vom «Erzkoch» Katharina bestückt wurden, niemals Mangel herrschte. Aber auch wenn er unterwegs war, mochte Luther auf eine üppige Tafel ungern verzichten. Aus Eisenach etwa schrieb er im Sommer 1540 an seine Frau: «Eure Gnade sollen wissen, dass wir hier, Gott Lob frisch und gesund sind; fressen wie die Böhmen (doch nicht sehr), saufen wie die Deutschen (doch nicht viel), sind aber fröhlich.»
An den deutschen Königs- und Fürstenhöfen ging es üppig zu, egal ob ihre Herrscher katholisch oder protestantisch waren – darin unterschieden sie sich nicht von den anderen Höfen Europas. Über den Wiener Kongress in den Jahren 1814/15, auf dem nach dem Sturz Napoleons die europäische Landkarte neu gezeichnet, aber auch ausgelassen gefeiert wurde, machte das Wort die Runde: «Der Kaiser von Russland liebt für alle, der König von Preußen denkt für alle, der König von Dänemark spricht für alle, der König von Bayern trinkt für alle, der König von Württemberg frisst für alle und der Kaiser von Österreich zahlt für alle.»
Die Genussfreudigkeit des Königs von Württemberg, Friedrich I., ist auf den überlieferten Porträts deutlich zu sehen: Stattliche zweihundert Kilogramm brachte er auf die Waage, er maß freilich auch über zwei Meter zehn. «Ich wusste gar nicht, dass sich die Haut überhaupt so weit ausdehnen kann!», meinte Napoleon, dem der «schwäbische Zar» seine Königswürde verdankte. «Und ich bin erstaunt, dass in einem so kleinen Kopf so viel Gift stecken kann!», gab Friedrich zurück.
Ging es vielleicht im genussskeptischen Preußen maßvoller zu? Jedenfalls nicht bei Friedrich dem Großen, der der Völlerei keineswegs abgeneigt war und für sein leibliches Wohl beachtliche Summen investierte. «Der König», erzählte General Görtz dem königlichen Leibarzt Johann Georg von Zimmermann, «hatte heute, den 30. Juni, sehr viel Suppe zu sich genommen und diese bestand wie gewöhnlich in der allerstärksten und aus den hitzigsten Sachen gepressten Bouillon. Zu der Portion Suppe nahm er einen großen Esslöffel voll von gestoßenen Muskatblüten und gestoßenem Ingwer. Er aß sodann ein gutes Stück Bœuf à la Russe – Rindfleisch, das mit einem halben Quart Branntwein gedämpft war. Hierauf setzte er eine Menge von einem italienischen Gericht, das zur Hälfte aus türkischem Weizen besteht und zur Hälfte aus Parmesankäse: dazu gießt man den Saft von ausgepresstem Knoblauch und dieses wird in
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