Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
werden gelegentlich miteinander verwechselt, dabei trennen sie Welten. «Humor unterscheidet sich von Witzen, wie sich das Lächeln vom Gelächter unterscheidet», schreibt Paul Alverdes. Humor ist etwas Allumfassendes, und so wird man auch keinen Menschen humorvoll nennen, der nicht auch die Gabe besitzt, über sich selbst zu lachen. Manch einer vermisst am deutschen Humor eine solche Ironie und bisweilen auch die Schlagfertigkeit. Beides ist mir in Deutschland sehr wohl und vielfach begegnet, besonders am Rhein und an der Spree. Man denke nur an die Berliner Gepflogenheit, die offiziellen und offiziösen Monumente der Stadt mit treffenden Spitznamen zu versehen. Als die Quadriga, die nach der preußischen Niederlage 1806 gegen Napoleon nach Paris gebracht worden war, wieder an ihren angestammten Platz auf dem Brandenburger Tor zurückkehrte, wurde sie «Retourkutsche» getauft, und diese Bezeichnung hört man noch heute. Das nach den Plänen des Bundeskanzlers Helmut Kohl errichtete neue Kanzleramt an der Spree bekam wenige Wochen nach seiner Fertigstellung den Namen «Waschmaschine». Für ihre Schlagfertigkeit in der ganzen Welt berühmt und berüchtigt sind die Berliner Busfahrer. «Fahr’n Sie über Wittenbergplatz?» – «Nee, dran vorbei!» – «Ich möchte zum Zoo.» – «Als was?»
Bisweilen stellt man fest, dass in Deutschland die Bereiche des Humorvollen und Ernsten ziemlich strikt voneinander geschieden werden. «Spaß beiseite!» Wenn man in geselliger Runde diese Worte hört, weiß man, was die Stunde geschlagen hat. Von nun an wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt, mit Ironie sollte man sich fortan tunlichst zurückhalten. Bei anderen Gelegenheiten heißt es: Nun aber lustig sein! Besonders in der «fünften Jahreszeit», im Karneval. Vor Beginn der Fastenzeit darf noch einmal ordentlich gefeiert werden. Ich muss gestehen: Mir ist diese spezifische Variante des deutschen Hu mors über all die Jahre hinweg verschlossen geblieben, auch wenn ich schon früh, in der Deutschen Schule in Addis Abeba, damit bekannt gemacht wurde. Einer unserer Lehrer, Rheinländer und eingefleischter Karnevalist, hatte beschlossen, den deutschen Karneval an unserer Schule einzuführen. Während sich in Düsseldorf und Köln die Rosenmontagszüge durch die Straßen wälzten, schlüpften wir in Addis Abeba in unsere Verkleidungen als Seeräuber, Cowboys und Scheichs und grüßten aus der Ferne mit «Helau!» und «Alaaf!». Aber so richtig lustig wurde es nie, und als ich das erste Mal den Umzug in Düsseldorf aus nächster Nähe erleben durfte, wollte sich auch keine rechte Fröhlichkeit einstellen. Ich kann mir nicht helfen, aber ein Brauch, der es gutheißt, zivilisiert gekleideten Herren mit Scheren zu Leibe zu rücken und sie ihrer Krawatten zu berauben, erscheint mir doch barbarisch.
Vielleicht hat das verbreitete Vorurteil der deutschen Humorlosigkeit seinen Ursprung auch darin, dass der deutsche Humor sehr stark regional verwurzelt ist. Die Karnevalisten am Rhein haben den rheinischen Frohsinn mit der Muttermilch aufgesogen – man wird, wenn man nicht dort geboren worden ist, immer nur ein Zuschauer am Straßenrand bleiben. Überhaupt muss man ein wenig mit den deutschen Regionen, ihren Eigenheiten und Dialekten vertraut sein, um diesen speziellen Humor zu erfassen und daran seine Freude zu haben. Der Dialekt «bricht allem Hehren und Hohen das Genick», schreibt Herbert Schöffler, der vor rund achtzig Jahren die Landkarte des deutschen Humors vermessen hat: Der altbayerische Humor, wie man ihn in München antreffe, sei vorwiegend ichbezogen-aktivistisch, «breitbeinig auf der Erde». Der sächsische Humor dagegen eher passivisch-selbstkritisch – «die ironische Selbstdarstellung des eigenen ‹Vif›- und ‹Alert›-Seins». Der Berliner Humor wiederum schlagfertig-objektiv mit Tendenz zur Kürze: «Schnauze, Kessheit und Herz ergeben eine hochexplosive Mischung leichter Gereiztheit.» Der Kölner Humor sei «warmherziglebensmeisternd», der hamburgische dagegen, dem englischen nahe verwandt, «fischig-kühl». Die Liste ließe sich fortsetzen.
Ein Gutteil des deutschen Witzrepertoires speist sich aus den wechselseitigen Frotzeleien der benachbarten Regionen und Stämme: Schwabenwitze hört man vor allem aus dem Munde von Badenern, Preußenwitze aus dem Munde von Bayern. Über die Sachsen kann man überall in Deutschland schmunzeln. Kein Wunder, öffnet doch das Sächsische mit seinen vielfachen
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