Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
mich weiter an Mozart, Beethoven und Schubert.
Vielleicht tue ich mich mit Wagner auch deshalb schwer, weil ich ihm ein wenig übelnehme, was er über Mozart gesagt hat. In den Mozart’schen Symphonien wollte er «das Geräusch des Servierens und Deservierens einer Fürstlichen Tafel in Musik gesetzt» hören. Man muss für Wagner aber nicht nur Passion, sondern auch ordentlich Sitzfleisch mitbringen angesichts der Länge seiner Bühnenwerke. Als ich vor einiger Zeit in den Briefen Fontanes las, stieß ich auf eine bezeichnende Stelle. Fontane hatte eine Karte für den Parsifal, er saß schon auf seinem Platz im Festspielhaus, als das Vorspiel einsetzte, «ein Tubablasen, als wären es die Posaunen des Letzten Gerichts». Panikartig ergriff er, sich an vierzig Plätzen vorbei durch die Reihe schiebend, die Flucht. Am selben Abend noch, es war der 28. Juli 1889, schrieb er seiner Frau:
«Es ist jetzt 9 Uhr, und wenn ich bedenke, dass frühestens nach abermals einer Stunde Parsifal zu Ende ist, so weiß ich nicht, wie ich diese Äonen innerhalb des Theaters hätte erleben wollen. Die Ouvertüre habe ich gehört und im Hinausgehen noch einen glimpse von der ersten Szene gehabt; dann bin ich langsam nach Hause geschlendert (ziemlich weit) und habe gelesen, dann bin ich in die Stadt gegangen und habe erst bei einem Konditor in der Nähe der großen Brücke (gegenüber der Kaserne) und dann bei dem vielgenannten Sammet zum zweiten Male Kaffee getrunken, weil ich doch was tun musste. Dann wieder nach Hause, wo ich zwei Briefe schrieb. Diese Briefe brachte ich zur Post und ging wieder eine halbe Stunde spazieren. Dann las ich, wieder zu Hause angekommen, eine ganze Stunde und habe eben auf meinem Zimmer mein Abendbrot und meinen Tee zu mir genommen und – Parsifal ist trotzdem noch lange nicht aus. Die 1500, die heute drin waren, müssen wundervoll gesund sein, oder 750 davon haben nach drei Tagen – denn es regnet und ist hundekalt – Katarrh, Brechdurchfall, Magenerkältung und Rheumatismus. Der passionierte Mensch hält alles aus; ich meinerseits bin doch fast traurig, auf Reisen (und vielleicht auch sonst) immer ein Schwächling gewesen zu sein … Jetzt ist es 9 Uhr 20, aber Parsifal spielt noch immer. Die Esszelte sind im Freien; es muss einige Erfrorene geben, sonst ist keine Raison mehr in der Welt.»
Seine Tristan -Karte für den drauffolgenden Abend schickte Fontane am nächsten Morgen zurück und vermachte den Betrag einer «frommen Stiftung».
Bekanntlich war Wagner nicht nur der Lieblingskomponist Ludwigs II., sondern auch der Lieblingskomponist Adolf Hitlers. Als Thomas Mann am 29. Mai 1945 in Washington, unter dem Eindruck der deutschen Katastrophe, seinen berühmten Vortrag Deutschland und die Deutschen hielt, kam er auch auf dieses musikalische Erbe zu sprechen. Die Deutschen «haben dem Abendland – ich will nicht sagen: seine schönste, gesellig verbindendste, aber seine tiefste, bedeutendste Musik gegeben, und es hat ihnen Dank und Ruhm dafür nicht vorenthalten. Zugleich hat es gespürt und spürt es heute stärker als je, dass solche Musikalität der Seele sich in anderer Sphäre teuer bezahlt – in der Sphäre des menschlichen Zusammenlebens.» Das Mystische, Dämonische, Irrationale, das sich in der deutschen Musik zeige, so Thomas Mann, spiegele sich auch im Gesellschaftlichen wider. War es also die «musikalische Seele» der Deutschen, die sie Hitler in die Arme geführt hat? Ich habe an diese These nie geglaubt, und die Geschichte Deutschlands der letzten Jahrzehnte hat ihre Unrichtigkeit nur allzu deutlich bewiesen. Allenfalls ließe sich anmerken, dass eben auch die wunderbarsten und humansten Schöpfungen der deutschen Kultur und Musik die Barbarei nicht verhindern konnten. Josef Mengele ließ sich in Auschwitz von der Cellistin des Mädchenorchesters in Privatvorführungen regelmäßig Schumanns Träumerei vorspielen. Das konnte ihn nicht von seinen mörderischen medizinischen Experimenten abhalten. Sosehr man es sich auch wünschen mag: Nicht jeden vermag die Musik zu einem besseren Menschen zu machen.
Ich möchte noch auf eine ganz spezielle Musik hinweisen, die mir im Lauf meiner Jahre in Deutschland fast ebenso lieb geworden ist wie die Mozarts: es sind die Schlager der zwanziger und frühen dreißiger Jahre, wie sie so unübertroffen von den Comedian Harmonists interpretiert worden sind: Ein Freund, eine guter Freund … Veronika, der Lenz ist da … Schöne Isabella aus
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