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Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Titel: Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asfa-Wossen Asserate
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Kastilien … In der Bar zum Krokodil … Eine bessere Medizin gegen Trübsal und schlechte Laune kann ich mir nicht vorstellen. Ich muss nur Mein kleiner grüner Kaktus mit den Comedian Harmonists auflegen, und schon ist die Welt wieder in Ordnung.
    Die Komponisten der Lieder – wie Werner Richard Heymann, Bert Reisfeld und Walter Jurmann – sind heute nahezu unbekannt, nach 1933 wurden sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten aus Deutschland vertrieben. Auch die Comedian Harmonists galten bald als «undeutsch» und «entartet», die Hälfte ihrer Mitglieder waren ja jüdisch. Bis Anfang 1935 sangen sie vor stets ausverkauften Häusern, dann erhielten sie Auftrittsverbot. Die jüdischen Musiker gingen ins Exil, die anderen blieben im Land – und so kam auf dem Gipfel des Erfolgs das jähe Ende der Gruppe.
    Aber man hat sie nicht vergessen. Max Raabe und sein Palastorchester haben vor einigen Jahren die Tradition der Comedian Harmonists wiederaufleben lassen. Sie singen und musizieren die alten Schlager und ergänzen sie um neue Kompositionen – und werden dafür nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Vereinigten Staaten und Israel begeistert gefeiert. Und ich bin mir sicher: Würden sie in einer lauen Osternacht vor den Felsenkirchen in Lalibela spielen, die Menschen würden aus ihren Tukuls strömen und mit gespitzten Ohren und großen Augen lauschen.

Naturverbundenheit
    W er aus fernen Weltgegenden zum ersten Mal nach Deutschland kommt, kann seine Erfahrungen machen. Manchen erging es dabei ähnlich wie einem Bekannten von mir aus São Paulo. Er war gerade einmal siebzehn Jahre alt, als er an einem Dezembertag in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts das Flugzeug bestieg; als Austauschschüler sollte er in einer deutschen Familie Aufnahme finden. Schon manches hatte er in seiner brasilianischen Heimat über die Naturverbundenheit der Deutschen gehört und gelesen, ihre Liebe zum Wald im Allgemeinen und über die deutsche Kritik an der Abholzung der Regenwälder am Amazonas im Besonderen. Als sich seine Maschine dem Flughafen Frankfurt näherte, erblickte er zu seinem großen Erstaunen unter sich nur braune Baumgerippe. «Mein Gott», dachte er, «da machen die Deutschen ein solches Gewese um den Urwald in Amazonien, und ihren eigenen Wald fackeln sie ab!» Wenig später klärte man ihn in seiner deutschen Gastfamilie auf, dass hier die Wälder im Winter naturgemäß «verbrannt» aussähen – als Folge der jahreszeitlich bedingten Vegetationsruhe.
    Auch für mich war in meiner Kindheit und Jugendzeit ein dichter Wald etwas gänzlich Unbekanntes, rund um die äthiopische Hauptstadt gab es nur lichte Eukalyptushaine. Dass man sich in ihnen verlaufen könnte, war unvorstellbar – allenfalls vielleicht in der Provinz Kaffa, wo es tatsächlich Urwälder gibt. Rätselhaft erschienen mir die Beschreibungen aus den Märchen der Brüder Grimm, die mir mein deutsches Kindermädchen in Addis Abeba, Tante Luise, vor dem Schlafengehen vorlas. Wie sollte ich mir diesen dunklen Wald vorstellen, durch den Hänsel und Gretel irrten, bis sie plötzlich vor dem Knusperhäuschen der bösen Hexe standen? Deutschland, soviel war gewiss, das musste ein einziger finsterer, endloser, undurchdringlicher Wunderwald sein voller Wölfe, Dämonen und Hexenhäuser, in denen grimmige Alte die Fingerchen von kleinen Jungen prüften, ob die schon dick genug waren, um die Kleinen in den Kochtopf zu befördern. Wer in diesem Wald lebte und nicht Riese, Zwerg oder Hexe war, musste wohl Uhrmacher sein – wie jener, der die großartige Kuckucksuhr gebaut hatte, die ich als Kind besaß.
    Dass ich mich mit meinen kindlichen Vorstellungen vom deutschen Wald in bester Gesellschaft befand, entdeckte ich später, als ich Tacitus’ Germania las. Germanien sei, so schreibt der römische Historiker, entweder mit unwirtlichen Wäldern oder mit Sümpfen bedeckt. Und eben daraus seien die Germanen hervorgegangen. Sie betraten den Wald stets mit ehrfürchtiger Scheu, und er war ihnen ein treuer Bundesgenosse. Das mussten die sonnenverwöhnten Römer schmerzlich erfahren, die ihre Wälder – nicht zuletzt für den Schiffsbau – bereits weitgehend abgeholzt hatten, als sie im Jahre 9 nach Christus nach Deutschlands Norden zogen. Was als Strafexpedition unter Führung des Feldherrn Quinctilius Varus gedacht war, wurde zu einem schwarzen Tag für drei römische Legionen, denen Arminius (der deutsche Hermann) im

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