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Deutschland allein zu Haus

Deutschland allein zu Haus

Titel: Deutschland allein zu Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Osman Engin
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springt sein genauso alter Fernseher morgens nicht sofort an und er muss so die Zeit überbrücken! Vielleicht sitzt er ja auch 24 Stunden am Tag dort, ich weiß es nicht!
    Ich weiß nicht, wie er heißt. Ich weiß auch nicht, ob er Deutscher oder Türke ist. Ich weiß gerade mal, dass er ein Opa und keine Oma ist. Wir begrüßen uns auch nicht. Ich schaue ihn mir nur kurz aus den Augenwinkeln an. Ich will doch nicht wie ein Spanner dastehen, der fremde Fenster beobachtet.
    Wenn ich ihn dann jeden Morgen da sitzen sehe, geht’s mir sofort besser und ich laufe fröhlich pfeifend weiter!
    Der alte Herr ist sozusagen unser Deutschland-Barometer: Wenn es ihm gut geht, ist die Welt weiterhin in Ordnung!
    Das beruhigt ungemein! Ob er sich auch solche großen Sorgen um mich macht, wenn ich mich mal etwas verspäte, das weiß ich leider nicht.
    Und wenn ich dann vom Bäcker wieder nach Hause komme, fragt mich meine Frau Eminanim mit besorgter Stimme nicht nach den frischen Brötchen, sondern immer zuerst nach dem alten Opa.
    »Na, Osman, ich hoffe, er sitzt bereits gut gelaunt am Fenster?«
    »Ja, mach dir keine Sorgen, ihm geht’s prächtig. Er hat sogar heute sehr leise ein paar Takte seltsamer Melodien vor sich hin gepfiffen.«
    Eminanim atmet daraufhin erleichtert auf. Nicht mal um unsere eigenen Opas machen wir uns so viele Sorgen. Was wohl daran liegt, dass sie schon seit mehreren Jahren unter der Erde weilen.
    Weder meine Frau noch ich wagen es auszusprechen, aber wir wissen wirklich nicht, was wir machen sollten, falls der Opa – Allah behüte ihn – irgendwann mal nicht mehr an seinem Fensterplatz sitzen sollte!
    Wie soll das Leben dann weitergehen?
    Würde meine Frau diesen Schock überleben?
    Könnte ich weiterhin meine 5 Brötchen verdrücken?
    Heute, nach 4 Wochen Urlaub und nach diesen Wahlen, sind wir natürlich erst richtig gespannt.
    So sehr ich mich auch um Normalität bemühe, unbewusst renne ich regelrecht die Straße runter, als stünde unser gesamtes Schicksal auf dem Spiel!
    Heute habe ich weder den Nerv noch die Geduld, ihnnur aus den Augenwinkeln zu fixieren. Ich schaue sofort wie ausgehungert hin …
    In der Dunkelheit sehe ich zuerst sein glänzendes knallrotes Kissen und dann den Opa selbst, der sich mit den beiden Ellbogen draufgestützt hat und in aller Ruhe das Geschehen beobachtet – besser gesagt: mich!
    Ich atme erleichtert auf, mein Blutdruck senkt sich schlagartig und Deutschland geht es sofort besser!
    Nach dem Frühstück gehe ich mit ziemlich gemischten Gefühlen zur Arbeit. Es ist nicht nur das allgemein bekannte todtraurige ›Mist-mein-schöner-Urlaub-ist-zu-Ende-jetzt-muss-ich-wieder-ein-Jahr-lang-schuften-und-mich-mit-dem-blöden-Meister-rumärgern‹-Gefühl, sondern zusätzlich das todärgerliche nigelnagelneue ›Mist-bald-ist-vielleicht-unsere-schöne-Demokratie-zu-Ende-jetzt-muss-ich-mich-jahrelang-mit-den-beknackten-Nazis-rumärgern‹-Gefühl.
    Am Werkseingang gesellt sich ein mir völlig unbekanntes und unerwartetes und deprimierendes Gefühl noch dazu. Dieses ›Jetzt-werde-ich-mit-Sicherheit-fristlos-hochkantig-auf-die-Straße-geworfen‹-Gefühl.
    Denn der Meister Viehtreiber steht ein paar Meter vor dem Eingang von Halle 4 wie auf heißen Kohlen und wartet förmlich ›sehnsüchtig‹ auf mich.
    »Osman, wie schön, dass du doch noch gekommen bist! Und sogar auf die Sekunde genau«, strahlt er über beide Ohren, was nur ironisch sein kann. In all den Jahren hatte er nie wahrgenommen, wenn ich pünktlich war. Wenn ich mich aber 2 Minuten verspäten sollte, stand er sofort auf der Matte und hielt mir eine lange Predigt über Arbeitsmoral im Allgemeinen und über das Arbeitslosendasein im Besonderen.
    »Aber klar doch, Meister, wie immer seit 30 Jahren bin ich auf die Sekunde genau pünktlich. Als ich einmal 4 Minuten zu spät kam, drohten Sie mir mit der sofortigen Kündigung. Haben Sie das schon vergessen?«, strahle ich leicht verwirrt zurück.
    »Junge, unter Kollegen darf man doch ab und zu mal einen Witz machen«, meint er, aus welchen Gründen auch immer, und landet damit erst recht einen Witz.
    »Klasse, Meister, diesen Spruch ›unter Kollegen‹ finde ich ja wirklich grandios, echt der Hammer«, lache ich mich demonstrativ schief.
    Es ist bei uns nämlich tarifvertraglich festgelegt, dass, wenn der Meister glaubt, einen Witz gemacht zu haben, alle Kollegen sofort laut und deutlich lachen müssen! Und zwar aus voller Kehle und so kräftig wie möglich! Was

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