Deutschland allein zu Haus
Halluzination es jemals sein kann! Erst recht, wenn mein Sohn Mehmet darin verstrickt ist.
»Ich heile dich gleich, du Spinner! Wenn ich dir jetzt die Thermosflasche auf den dämlichen Kopf knalle, dann wirst du sofort geheilt!«, schimpfe ich mit ihm.
»Jawohl, der Herr! Zu Befehl, der Herr«, brüllt er noch lauter und schlägt wieder die Hacken zusammen.
Bei Allah, eine drittklassige Nazi-Parodie mitten in der Fußgängerzone, während ich auf dem Zahnfleisch gehe, ist das Letzte, was ich gebrauchen kann! Wenn ich gleich den Faschos verpetze, dass dieser Idiot in Wirklichkeit ein strammer Kommunist im Nazipelz ist und sie auf den Arm nehmen will, dann schlagen sie ihn halb tot!
Keine gute Idee – gesund pflegen müssen wir ihn!
»Mehmet, du Blödian, hör doch auf mit dem Mist!«
»Lassen Sie doch den jungen Mann in Ruhe! Er kann doch Hackenschlagen wie er will. Schließlich haben wir doch eine Demokratie in diesem Land«, kommt sofort ein ältererHerr Mehmet zu Hilfe. Da sage noch einer, die Ausländer würden von den Deutschen nicht genug Unterstützung bekommen.
Als der Mann Mehmets komische Visage aus der Nähe sieht und merkt, dass mein verrückter Sohn doch nicht ganz seinen arischen Vorstellungen entspricht, ist die Demokratie plötzlich zweitrangig und er sucht kopfschüttelnd das Weite.
»Vater, dreh doch nicht sofort durch. Das ist bloß ein Stimmungsbarometer. Damit teste ich die Reaktionen des einfachen Mannes auf der Straße. Und meine umfangreichen Statistiken werde ich dann in meiner eigenen Zeitung der Öffentlichkeit vorstellen. Die neue Ausgabe von ›Wahrheit, nichts als die Wahrheit‹ kann ich dir wärmstens empfehlen«, sagt er und schlägt wieder so laut die Hacken zusammen, dass einige Passanten sich erschrecken.
»Das reicht jetzt, du Idiot, hau endlich ab! Und zieh sofort diese bescheuerte Uniform aus!«
»Jawohl, mein Erzeuger!«
»Wegtreten!«
»Oh, Osman, alle Achtung, dein Sohn hat sich aber sehr schnell an die neuen Verhältnisse angepasst«, pfeift plötzlich mein alter Kumpel Lungenloser-Kemal ironisch anerkennend. »Wie nennt man so was: von einem Extrem ins andere!«
»Ja, so sind die alten Kommunisten nun mal«, gebe ich ihm recht, »die sind wahre Chamäleons!«
›Lungenlos‹ ist natürlich sein Künstlername. Er arbeitete jahrelang in asbestverseuchten Hallen, bekam Krebs und verlor dadurch seinen rechten Lungenflügel und ist ständig am Röcheln. Daher der sehr kreative Spitzname ›Lungenloser‹.
Der Lungenloser-Kemal und Konsorten treffen sich seit Jahren wöchentlich zum ›Veteranen-Gespräch‹ und jammern sich gegenseitig die Ohren voll.
Seine anderen Leidensgenossen heißen ›Kurzbein-Hamdi‹, der seinen linken Unterschenkel auf einer Baustelle verloren hat; ›Blind-Nejat‹, der mehrere Metallsplitter in die Augen bekam und nach 15 Augenoperationen zu 90 Prozent sehbehindert ist; ›Taub-Talat‹, der nach 28 Jahren an der Pressmaschine taub wie ein Fisch geworden ist, und ›Fingerloser-Bilal‹, der sich an der Fräsmaschine alle Finger an der linken Hand weggefräst hat, als würden sie wieder locker nachwachsen.
Sie alle sind der Meinung, dass sie zum Wohle Deutschlands zu Krüppeln geworden sind, und haben den ›Veteranen-Gesprächskreis‹ gegründet, wo sie stundenlang schwarzen Tee trinken, von den guten alten Zeiten schwärmen, als sie noch alle Finger und alle Lungen beisammen hatten, und über die heutige bequeme, arbeitsscheue, hochkriminelle und dazu auch noch faule Jugend schimpfen.
»Osman, ich gehe zu unserem Treffen, du musst unbedingt mitkommen«, röchelt er aufgeregt. »Wir reden heute darüber, wie wir Deutschland von den Braunen befreien können. Los, komm schon mit, dein Fernseher läuft nicht weg!«
»Ich habe heute für Deutschland genug geschuftet. Was ich brauche, ist nur eine ordentlich große Portion Schlaf«, gähne ich demonstrativ lange und laut, damit er mich endlich in Ruhe lässt.
»Ich merke schon, jemand muss dir unbedingt die Ohren lang ziehen«, brüllt er, zieht mein linkes Ohr lang wie ein Kaugummi und läuft mit meinem Ohr in der Hand vorneweg, sodass mir nichts anderes übrig bleibt, als Lungenloser-Kemal und meinem armen Ohr zu folgen.
»Kemal Abi, kannst du bitte mein Ohr loslassen. Es ist doch ohnehin ständig entzündet. Nicht dass es wieder irgendwelche bösen Bakterien abbekommt. Ich laufe ohnehin schon alle zwei Wochen zum Ohrenarzt und bekomme Antibiotika in Form von Ohrtropfen, die ich
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