Deutschland allein zu Haus
er und zeigt zum Beweis auf die mit vielen bunten Fotos geschmückten aktuellen Artikel von Bild-Bernd und Hürriyet-Hüsseyin.
»Wo hast du die denn bekommen? Du wolltest doch nach Berlin fahren.«
»Den Zug nach Berlin hab ich verpasst!«
»Mehmet, schau mal, ich glaube, auf diesem Foto bekommst du gerade diese Beule da links hinten verabreicht«, helfe ich meinem Sohn beim fröhlichen Schlagstöckeraten.
»In meiner eigenen Zeitung werde ich jeder dieser Beulen eine ganze Seite widmen und werde keineswegs die Wahrheit verschweigen, so wie diese beiden Schmierblätter von der Konkurrenz«, schimpft der Möchtegern-Chefredakteur und erklärt die beiden Massenblätter mit Millionenauflagen zu erbitterten Konkurrenten.
Mehmet war schon immer ein sehr ›bescheidenes‹ Kind.
Dabei haben seine sogenannten Konkurrenten die Wahrheit gar nicht verschwiegen – nur wie immer ein klein bisschen verfälscht, genauer gesagt, auf ihre Art interpretiert!
Hürriyet-Hüsseyin hat aus den 3000 NEP-Demonstranten einfach 30 000 gemacht und groß getitelt:
»Zurück in die Zukunft! Willkommen im Jahre 1933! Nazis wieder an der Macht!«
Im Gegensatz zu Hürriyet-Hüsseyin, der zurzeit reichlich Gelegenheit dazu hat, richtig auf die Kacke zu hauen und Deutschland politisch eins auszuwischen, hat der arme Bild-Bernd anscheinend einen tragischen inneren Kampf ausgefochten! Einerseits möchte seine Zeitung mit den vielen konservativen Anhängern zusammen die neue rechte Regierung feiern, andererseits wollen sie es sich nicht vollends mit den restlichen Demokraten im Lande verderben, da sie sich nicht völlig sicher sind, ob das verwirrte Vaterland wirklich endgültig in den Dreißigern des vorigen Jahrhunderts landen oder doch noch irgendwie die Kurve kriegen wird.
Eigentlich wären beide Richtungen für dieses Revolverblatt kein Problem, da es sich ja beinahe täglich nach dem Wind dreht. Wenn sie bloß wüssten, was nun die endgültigeRichtung sein soll. Falls der jetzige Spagat etwas länger dauern sollte, würden dem Bild-Bernd die dünnen Beine auseinandergerissen wie einem gut gebratenen Huhn.
Einerseits schreibt er von mehreren Tausend begeisterten Regierungsanhängern, andererseits lobt er die vielen Gegendemonstranten, die für die Werte der Demokratie auf die Straße gehen. Wenn es nach Bild-Bernd geht, können sich die vielen Menschen auf der Straße nicht richtig entscheiden, ob sie sich wegen der neuen Regierung freuen oder schämen sollen!
Dementsprechend seiltänzerisch sowie schlicht und neutral ist auch die heutige dicke Schlagzeile geraten:
»Wir haben eine neue Regierung!« Und daneben in genauso großen Lettern: »Die neue Miss Germany war mal ein Kerl!«
»Osman, die Maschinen in die Türkei sind alle ausgebucht. Wir können erst in 2 Wochen fliegen. Ich werde den Karnickelweg sehr vermissen«, schluchzt meine Frau sichtlich bewegt mit feuchten Augen.
»Eminanim, wir können uns doch aus diesem Land nicht rausschleichen wie ein gemeiner Dieb. Ich habe dieses Land doch mit aufgebaut«, sage ich ziemlich selbstbewusst, wobei ich ein wenig Stolz in meiner Stimme nicht verbergen kann.
»Was hast du denn aufgebaut? Soweit ich weiß, kannst du nicht mal ein läppisches Ikea-Regal aufbauen«, sagt sie, während sie plötzlich aus dem Nichts Umzugskartons hervorzaubert.
»Ich habe doch die Halle 4 aufgebaut. Als ich dort angefangen habe, gab’s nur die Halle 3. Ich weiß aber immer noch nicht, wieso sie damals diese einzige Halle, die sie hatten, ›Halle 3‹ genannt haben. Wahrscheinlich aus dem gleichenGrund wie diese Hotels, die nur 3 Zimmer haben und diesen die Nummern 1010, 1011 und 1012 geben.«
»Osman, du belügst deine Verwandten in der Türkei ja auch ständig und gibst immer damit an, dass unsere Wohnung 5 Zimmer hätte«, meint sie und eilt sofort zur Tür, weil jemand Sturm klingelt.
Zu unserer großen Überraschung und noch größeren Freude sehen wir unsere Nachbarn Ahmet und seine Familie vor der Tür stehen.
»Mensch, Junge, ich dachte, du streitest dich jetzt in Istanbul wegen deinem Übergepäck mit irgendwelchen türkischen Taxifahrern«, jubele ich und umarme ihn überschwänglich.
»Hätte ich mich normalerweise wohl auch«, lacht er, »aber unsere kleine Selma hat im Flugzeug so einen unglaublichen Radau gemacht, dass der Pilot sich glatt geweigert hat, uns mitzunehmen.«
»Die Nazis sind auch nicht mehr das, was sie früher mal waren«, lache ich völlig erleichtert, »nur weil
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