Deutschland allein zu Haus
seine nahen Freunde nennen dürfen«, lügt er wie gedruckt. Das hat er mittlerweile schon ganz gut gelernt in Berlin. Lügen ist das erste Politiker-Gebot! »Er ist jung, blond, stark, klug, witzig, hat eine kaputte Nase und trägt eine Augenklappe, die er sich im Kampf gegen Ausländer und das Kommunistenpack eingehandelt hat.«
Hilde freut sich riesig, dass Vater und Sohn sich endlich wieder etwas besser verstehen und sogar zusammen lachen können. Und dass dieses Lachen ausnahmsweise mal nicht auf ihre Kosten geht, sondern auf die Kosten von Ausländern.
Aber ihr Glück währt nicht lange. Nicht mal bis zur nächsten Kreuzung! Denn Herbert sagt plötzlich aus heiterem Himmel:
»Hilde, bald gibt es Arbeit für dich.«
»Wieso, ich arbeite doch schon genug«, murmelt sie eingeschnappt,»du siehst es bloß nicht, weil du die ganze Woche nicht zu Hause bist, Schatz!«
»Hilde Mäuschen, doch nicht du persönlich«, meint Herbert versöhnlich, »sondern die ganzen anderen Weiber, Schmarotzer, Faulpelze und Hartz-IV-Empfänger, die keine Lust haben, arbeiten zu gehen! Wir haben bisher 160 000 arbeitslose Parasiten abgeschoben. Mehr als eine Million Ausländer sind freiwillig abgehauen, aber die Arbeitslosenzahlen gehen trotzdem nicht runter! In Wirklichkeit sind die Arbeitslosenzahlen sogar gestiegen, kannst du dir das vorstellen? Wegen ein paar fehlenden Kanaken machen inzwischen ganze Betriebe dicht – ist das nicht verrückt? Herr Puffer hat aber den Typen von der CDU verboten, diese Zahlen an die Presse weiterzugeben.«
Hilde ist von dem neuen Gesprächsthema überhaupt nicht angetan. Besser gesagt, sie findet es todlangweilig und ziemlich zum Kotzen.
Erst recht auf nüchternen Magen!
Die Silhouette des italienischen Restaurants am Ende der Straße begeistert sie wie einen halb verhungerten Schiffbrüchigen, der nach Tagen auf hoher See endlich einen vorbeifahrenden Frachter erblickt.
Aber ihre Enttäuschung ist umso größer, als sie erschüttert feststellen muss, dass dieser gnadenlose Frachter nicht mal im Traum daran denkt, sie aufzunehmen!
»Liebe Gäste, bitte entschuldigen Sie, dass wir unser Lokal geschlossen halten, solange die Nazis in der Stadt das Sagen haben. Wer will denn schon für Nazis kochen? Ciao, Euer Peppone«, steht an der Tür geschrieben.
In ihrer Verzweiflung versucht Hilde unbewusst den Trick mit dem Rock-hochziehen, aber die Tür bleibt immer noch eisern geschlossen. Vielleicht sollte jemand ihr verraten, dass dieser Trick nur beim Trämpen funktioniert!
»Scheiß Ausländer«, zischt sie daraufhin total frustriert. »Herbert, Schatz, könnt ihr die blöden Italiener nicht dazu verdonnern, weiterzukochen? Ihr seid doch quasi auch die Regierung!«
Der ebenfalls total enttäuschte Heiko tritt mit dem Absatz seines Springerstiefels wütend gegen die Scheibe neben der Tür.
Das Glas geht mit großem Geklirre kaputt und ein Splitter trifft ihn voll am Kopf.
Unglaublich, aber wahr – es gibt doch noch einen Funken Gerechtigkeit auf dieser Welt: Die Wunde auf dem kahlgeschorenen Schädel des Nachwuchsnazis hat wie durch ein Wunder die Form des italienischen Stiefels bekommen! Sogar Capri und Sizilien sind deutlich zu erkennen.
Lediglich Sardinien ist etwas zu groß geraten, wofür man aber schon ein bisschen Verständnis aufbringen sollte, denn Peppone ist schließlich ein Deutsch-Sarde, seine Großeltern kamen vor 65 Jahren aus Sardinien …
38 Kurze Zeit später bietet sich vor dem Wohnzimmerfenster meinen Augen ein sehr skurriles Bild an.
Vor unserem Haus im Karnickelweg 7b ist mit der Zeit eine Pyramide entstanden. Sie ist zwar nicht so schön und stabil wie die ägyptischen Pyramiden und sie stinkt im Gegensatz zu denen in der Wüste auch fürchterlich, trotzdem ist es irgendwie ein Kunstwerk, entstanden aus Müll. Es hat mittlerweile sehr viele Nachahmer gefunden, in jeder Straße gibt es inzwischen eine oder mehrere solcher neuzeitlichen Ekel-Pyramiden, die vor sich hin stinken.
Und jetzt kommt der Clou:
Auf dieses merkwürdige Kunstwerk vor unserer Tür haben sie obendrauf auch noch eine Statue gestellt. Eine riesige Frauenstatue, wie damals in der Türkei am Strand, in gebückter Haltung. Und genauso wie damals in der Türkei entpuppt sie sich bei genauer Betrachtung als meine Frau Eminanim. Ich glaube kaum, dass sie sich dort sonnen will.
Ich renne sofort hin!
»Eminanim, was soll das denn werden – Neujahrsspringen? Ohne Skier, ohne Schnee und ohne
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