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Deutschland allein zu Haus

Deutschland allein zu Haus

Titel: Deutschland allein zu Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Osman Engin
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Gemüseladen, den er vor 2 Monaten von Ali übernommen hat. Ali sah sich gezwungen, seinen Laden, den er abgöttisch liebte, zu verkaufen, nachdem man ihm 10 Nächte hintereinander die Scheiben eingeschlagen hatte.
    »Osman, du bist noch hier?«, wundert sich Ingo. »Worauf wartest du denn noch, um zu verschwinden?«
    »Mein Sohn Mehmet war mit dem Verschwinden leider schneller als ich.«
    »Ist der schon in der Türkei?«
    »Das wüssten wir auch gerne, wo er steckt! Ohne ihn können wir aber nicht weg.«
    »Aber beeil dich! Die Menschen werden doch permanent mit den scheinheiligsten Begründungen von den Bullen abgeholt. Meine gesamte Kanaken-Kundschaft sitzt entweder im Knast oder wurde abgeschoben! Die Lieferanten kommen auch nicht mehr! Bald gibt’s wie früher in Deutschland nur noch Kartoffeln, Sauerkraut und Wurst! Mit Spargel und Erdbeeren wird’s im Frühjahr auch nichts. Die ganzen Polen sind längst abgehauen und werden sich mit Sicherheit nie wieder blicken lassen.«
    »Ist das auf die Dauer nicht ein bisschen ungesund, immer nur Kartoffeln, Sauerkraut und Wurst?«
    »Ungesund ist, was du machst!«
    »Essen müssen wir ja trotzdem noch etwas, oder? Hau mich bitte heute nicht so sehr übers Ohr. Du weißt, die Regierung hat die gesamten Konten von Ausländern fürs Erste sperren lassen, damit wir nicht mit den ganzen Drogen- und Schwarzgeldern verschwinden können! Mein bisschen Geld haben sie auch beschlagnahmt.«
    Im Kaufhaus geht Hatices hinterlistiger Plan aber nicht auf.
    Obwohl sie wesentlich trauriger guckt als Aschenputtel und Heidi in ihren dramatischsten Momenten zusammen, sagt die grauhaarige Verkäuferin, die uns 45 Minuten warten lässt und ziemlich schlecht drauf ist, schroff:
    »Du brauchst nicht so dumm zu glotzen! So ein ausgelutschtes, altes Ding dürfen wir auf keinen Fall zurücknehmen!«
    »Ist Herr Aydin nicht da?«, frage ich vorsichtig.
    »Nein, ist er nicht! Wegen genau so was haben sie ihn doch letzte Woche gefeuert!«
    »Und Frau Nevin?«
    »Sie hat gekündigt!«
    »Frau Gülten?«
    »Ist auch nicht da!«
    »Der Antonio?«
    »Der ist auch nicht mehr da! Deshalb muss ich hier seit Tagen schuften wie verrückt! Wir bekommen auch keine Aushilfe, Deutschland geht vor die Hunde!«
    »Hatice, ich kaufe dir ein neues Spiel, das du haben willst«, tröste ich meine Tochter, die mittlerweile sehr traurig guckt, wobei ihre Unterlippe bedrohlich am Vibrieren ist.
    »Aydin wurde meinetwegen gefeuert«, schluchzt sie plötzlich. »Ich hatte diesen Trick, bei Herrn Aydin traurig auf den Boden zu gucken, auch Sevgi, Selma und Kevin verraten.«
    Ich verrate Hatice nicht, dass Arbeitslosigkeit inzwischen automatisch auch Abschiebung bedeutet, um den armen Menschen im Kaufhaus keine ohrenbetäubende Heulorgie zuzumuten.
    Aber warum eigentlich nicht?
    Das wäre doch genau die gerechte Strafe für diesen Laden!
    »Hatice, weißt du, dass wegen euren blöden Spielen der arme Verkäufer Aydin jetzt aus Deutschland abgeschoben wird?«
    Die Kleine legt wie auf Knopfdruck so unglaublich laut los, dass die Sirene der Alarmanlage ein läppischer Flüsterton dagegen ist.
    Binnen 5 Minuten ist der gesamte Laden komplett leer gefegt, wie nach einer Bombendrohung.
    Hoffentlich ist das denen eine Lehre, dass Geiz nicht immer geil, sondern auch ungemein nervig sein kann!
    Als wir wieder draußen sind, merke ich erschrocken, dass wir von Kameras verfolgt werden, die jeden meiner Schritte aufnehmen. Die Nazis halten es nicht mal mehr für nötig, ihre Kameras zu verstecken. Wie sagt man so schön: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s völlig ungeniert! Wie will man den Ruf der Nazis im Negativen noch toppen?
    »Osman, ich will für die nachkommenden Generationen dokumentieren, was in diesen finsteren Zeiten alles so passiert ist«, höre ich plötzlich Kurzbein-Hamdi rufen und er zeigt mir stolz seine komische Billigkamera, mit der er bisher seine Enkel beim Grillen aufgenommen hat. Gegrillt haben sie natürlich nicht die Enkel, sondern andere Würstchen!
    Ich merke, dass ich den Nazis Unrecht getan habe. Aber meine Trauer darüber hält sich sehr in Grenzen, weil die mindestens mehrere Millionen Mal Unrecht getan haben. Ein Unrecht im Vergleich zu 789 609 438 Unrechten fällt nicht so sehr ins Gewicht.
    »Kurzbein, warum machst du dir eigentlich die Mühe, das alles zu dokumentieren? Du bist dir doch quasi seit deiner Geburt absolut sicher, wo alle Ausländer irgendwann landen werden?«, sage ich, damit er

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