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Deutschland macht dicht (German Edition)

Deutschland macht dicht (German Edition)

Titel: Deutschland macht dicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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waren.
    Es fragte sich das allerdings nicht selbst, sondern einen bis dahin stummen Gast, den Professor Kilian, Herr Büsner und Frau Pinguin nicht bemerkt hatten.
    Der kleine grauweiße Stoffhase mit randloser Brille, der auf dem Ebenholzfensterbrett in Büsners Hauptschauzimmer saß, schüttelte betrübt den Kopf und sagte: »Keineswegs. Leider nicht. Im Gegenteil. Nach meinen Berechnungen, und besonders nach den Daten betreffend die jüngsten Schnitte im Vektorraumbündel der gegeneinander versetzten Kaufkraftentwicklungen in der deutschen Binnenwirtschaft, war’s das keineswegs. Die Sache hat vielmehr soeben angefangen. Falls wir uns hier überhaupt noch in einer differenzierbaren Mannigfaltigkeit befinden, dann sind das, was ich da sehe, Tangentialbündel von geradezu sagenhafter Häßlichkeit.«
    »Superdreck«, stellte das Kunstwerk fest.
    Der Stoffhase blickte traurig aus dem Fenster auf drei schreiende und gestikulierende Leute, die mit ihrem Lärm die Straße vollstellten, als ob sie ihnen gehörte.

6.
Redaktionelles
     
    »Schade, aber zu Befehl!« sagte Werner Holbach.
    Er arbeitete gern bei der Erhabenen Zeitung. Gehorchenmüssen bereitete ihm trotzdem immer Nackenziehen. Dennoch löschte er, weil das der Befehl gewesen war, den man ihm erteilt hatte, einen Artikel.
    Den betreffenden Text hatte er per E-Mail erhalten und als sogenanntes »Sonderstück«eingerichtet, damit man ihn drucken konnte, sobald Platz für derlei da war. Das Sonderstück hatte einen ehemaligen Kollegen zum Verfasser. Der wäre sogar einmal beinahe Holbachs Chef gewesen – damals, vor fünf Jahren, als Holbach von der Erhabenen Zeitung für deren neugegründeten Sonntagsableger angeworben worden war, um dort dem Stab der Wissenschaftsseiten beizutreten. Seinerzeit hatte ebendieser Stab eben erst unter der Leitung des besagten Beinahechefs, eines Wissenschaftsjournalisten namens Arnulf von Pütterwitz, seine Arbeit aufgenommen. Dieser Herr war, weil Zufälle die Welt beherrschen, Bernd Vollfensters Schwager, der ältere Bruder von Rosalies verstorbener Mutter Tinchen.
    Von Pütterwitz hatte maßgeblich dafür verantwortlich gezeichnet, daß Bernd Vollfenster in den Jahren vor Holbachs Einstellung eine Liebe zu allerlei Natur- und Computerwissenschaftlichem, von der Datenautobahn bis zur Proteomik, entwickelt hatte.
    Bald war der wißbegierige Mensch auf seiner Reise durch den neueren Infokosmos an die äußersten Enden des bekannten Weltbilds gelangt; inzwischen wurden daraus auch körperliche Fahrten in alle möglichen Länder; zum Beispiel nach Amerika, wo er, während seine Tochter im Hotelzimmer mit Hendrik Kilian telefonierte, an einem nichtöffentlichen Treffen verschiedener Größen aus den Kognitionswissenschaften teilgenommen hatte. Der Vorsitzende jener Runde war eben der Hirnforscher gewesen, den von Pütterwitz in seinem Sonderstück porträtierte.
    »Das können wir jetzt nicht bringen«, stellte Bernd Vollfenster am ersten Redaktionsmorgen deshalb nach seiner Rückkehr fest, »und vielleicht gar nicht mehr. Die Sache läuft schon, ob mir das gefällt oder nicht. Zu gefährlich.« Was, hätte sich Werner Holbach fragen können, mochte an einem eher zähen Artikel über Schlafforschung und Neurolinguistik gefährlich sein?
    In von Pütterwitzens kleiner Arbeit ging es um Umständliches, Holbach kaum Vertrautes, obskure »Elektro-Myogramm-, Elektro-Oculogramm- und Elektro-Enzephalogramm-Messungen«, die»zusammen mit jüngeren Erkenntnissen darüber, wie das Sprachdenken des Menschen sich zu seinem Raumempfinden verhält«, offenbar eine neue Theorie stützen sollten, welche den nebligen Namen »Wachorientierungstiefenanalyse« führte.
    Zwischen den drei Tatsachen, daß
    1. Holbach bei der Zeitung schon eine Weile arbeitete,
    2. nicht nur in den Artikeln des Herrn von Pütterwitz, sondern auch in anderen immer häufiger merkwürdig einschläfernde, lange oder anderweitig anstrengende Sätze standen, die immer dieselben Schlüsselbegriffe enthielten und endlich
    3. Holbach in letzter Zeit einerseits nachts zunehmend schlecht schlief, sich andererseits aber tagsüber manchmal sowohl im Redaktionsgebäude als auch in der Stadt, ja dort sogar in Gegenden, die er seit Jahren kannte, immer häufiger verirrte,
    sah der Redakteur keinerlei Verbindung.
    Dafür wurde er schließlich nicht bezahlt.
    Er überprüfte seine E-Mails.
    Er trank etwas Wasser.
    Er fing an, mit offenen Augen zu träumen, von der Prophezeiung, die er vor

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