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Deutschland macht dicht (German Edition)

Deutschland macht dicht (German Edition)

Titel: Deutschland macht dicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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gebraucht«, schmeckte Hendrik, zerstreut und leise, die Formulierung nach. In ihm knisterte eine Ahnung, daß jetzt, in diesem Moment, entweder alles vorbei war oder aber gerade erst anfing.
    Er lag mit beidem richtig.

9.
Mandelbaums Einmischung
     
    Bevor Deutschland plombiert wurde, hatte Rosalie Vollfenster für Kuscheltiere nichts übrig gehabt; weder für echte noch für solche aus Plüsch.
    Die echten, lebendigen – kleine Hündchen und Kätzchen – waren ihrer Ansicht nach Hilfstruppen für Nazi-Omas wie die ekelhafte Frau Etzel und folglich indiskutabel.
    Frau Etzel sah aus wie ein Affe, der nach seinem Bürojob halbtags als Königin von England im Kabarett auftrat und sich an Wochenenden vor dem Spiegel mit Musikbegleitung für Mick Jagger hielt, vielleicht nicht ganz zu unrecht. Sie hauste am Ende der aufgeräumten kleinen Siedlung, in die Rosalies Eltern mit ihrer damals neunjährigen Tochter vor sechs Jahren gezogen waren, weil es in der Innenstadt zu viele Heroinabhängige, Mörder und Maustreiber gab.
    Katzenmutter Etzels Haus glänzte eierlikörfarben und kam Rosalie schief vor. Tatsächlich waren die Fundamente des Gebäudes seit 1996 wegen eines Rohrbruchs mit anschließendem, äußerst teurem Wasserschaden im steten Absacken begriffen. Außer der in räumlichen und geometrischen Angelegenheiten ungewöhnlich begabten Rosalie merkte das aber niemand, nicht einmal Frau Etzel selbst.
    Die Alte lebte bevorzugt unterm Dach und warf vom schwarzen Fenster aus mit gichtkrummen Krallen dreimal täglich Roggentoastbrotkrümel auf die Wiese hinterm Haus, wo sich ihre fünfzehn fetten faulen Katzen nicht einmal auf die Seite drehen mußten, um lustlos danach schnappen zu können.
    Katzen sind dumpfe Untergebene von alten, einsamen Affen, hatte sich Rosalie gemerkt und mochte sie deshalb nicht. Die plüschige Tiervariante – kleine Häschen, Fröschlein und Schildkröten aus Kunstpelz – verachtete sie allerdings noch mehr. Rosalies Abneigung gegen Flausch hatte sich schon in ihrer frühen Kindheit gezeigt, damals in Form von Tränenfluß, Niesreiz und Jucken im Streichelzoo oder in der Kaufhaus-Spielwarenabteilung.
    Daß sie einmal ein Pelztier ihren Freund nennen würde, hätte sie nie für möglich gehalten.
    Das änderte sich erst, als der bebrillte Hase Mandelbaum sie davor rettete, von Frau Etzel verschlungen zu werden.
    »Hallo! Ich bin Mandelbaum, Überblicker des Durcheinanders!«
    »Geil. Ich bin Rosalie«, keuchte Rosalie und ließ sich von Mandelbaum an seiner rechten Pfote einen plötzlich aus dem Boden geschossenen vertikalen Schotterweg hochzerren.
    »Schnell!« piepste der Hase, »Wir müssen uns die günstigen Homotopiebedingungen zunutze machen, bevor der Basispunkt springt!«
    »Ah klar«, sagte Rosalie und dachte: Der spinnt, aber ich spinne mehr, denn ich tu, was er sagt. Hinter ihnen, auf dem rasch nach unten wegfallenden Boden der Tatsachen, war Frau Etzel mit einem der planlos herumzischenden deutschen Exkanzler zusammengeprallt, die aus dem beschädigten Asphalt hervorbrachen.
    Rosalie hörte den Staatsmann kreischen, als sich die Katzenhexe in seinen Nacken verbiß und sein Blut zu trinken anfing: »Aufhören! Sauerei! Aufhören! Auf, au! AUA!«
    »Ist das wirklich der Hitler?« fragte Rosalie den Hasen, denn sie kannte Frau Etzels Opfer aus dem Fernsehen.
    »Gewiß. Das ist er. Schau nicht zurück, es wird scheußlich.«
    »Der Hitler. Oh je«, staunte Rosalie und wandte sich nach vorn.
    Vor ihr, auf dem geraden Weg, stand einer, den sie zunächst für Petrus oder den lieben Gott hielt. Er hob seinen Knotenstock und rief: »Halt! Ich bin der älteste Kommunist Deutschlands!«
    »Sehr gut. Damit hatte ich gerechnet«, freute sich Mandelbaum.
    »Was machst du hier?« fragte Rosalie den Bärtigen.
    »Ich komme, fürchte ich, zu spät«, sagte der.
    »Dann bist du also ein Zuspätkommunist«, sagte Rosalie.
    So wurden sie Freunde.

10.
Traumzeitung
     
    Am frühen Morgen des Tages, an dem Mandelbaum in Rosalies Leben trat, keine drei Stunden vor der Flucht in die Vertikale, hatte noch alles ausgesehen wie immer.
    Vater und Tochter Vollfenster waren beim Frühstück gesessen. Rosalie plapperte: Klausuren, geplante Gruppenreisen, ein paar Anspielungen auf Hendrik, um aus eventuellen Reaktionen Schlüsse fürs weitere Vorgehen zu ziehen. Der Vater hatte sich den Bart gekrault, die eigene Zeitung aufgeschlagen und als Letternwall zwischen sich und das Mädchen gespannt. Nicht

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