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Deutschland macht dicht (German Edition)

Deutschland macht dicht (German Edition)

Titel: Deutschland macht dicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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sondern vor allem, daß es etwas Interessanteres gibt als das Museumskonzert am Sonntag und die stinkigen Pferdeställe.
    Ich werde, schwärmte Clea romantisch, nie wieder den Himmel so sehen wie vorher, und ich werde allem, was gestern war, auf Wiedersehen sagen können, und wenn sie mich auch am Boden halten wollen, wenn selbst mein vieles Geld mich wie Blei niederzieht, werde ich doch nie mehr aufhören zu fliegen.
    »Isch mach disch platt«, versprach, durch nicht besonders dicke Wände klar verständlich, einer ihre Bewacher dem andern. Clea dachte amüsiert, daß sie nicht einmal wußte, um wieviel Lösegeld es eigentlich ging. Schön, sich einfach treiben zu lassen und darauf zu warten, was passieren, von wem und wann man wie gerettet werden würde. Ganz weit weg fand Krach statt, der den Rangelradau der Streitenden übertönte.
    Als Clea aus dem Fenster sah, flog ein Gebäude vorbei, das eigentlich in die Frankfurter Innenstadt gehörte und eine Bank war. Auf dem Dach saßen Leute in einfarbigen Overalls. Da das Gebäude und die auf dem Dach sitzenden, gestikulierenden Overallträger sofort nach rechts und gleichzeitig auch irgendwie nach oben über die in hohem Hertztakt flimmernde Himmelsweite verschwanden, beschloß Clea, daß sie sich das wohl nur eingebildet hatte.
    Das Flimmerzwielicht blieb.

    Es war auf matte Art schön. Wie in Trance starrend überlegte Clea: Bald kommt mein Prinz, von Frankfurt her. Ihr Blick suchte ihn in der Welt hinter den Lodenmänteln der Bäume.
    In diesem Moment – jedenfalls von dem Inertialsystem aus betrachtet, zu dem Clea gehörte –kollidierten im Stockwerk unter ihr die Kreuzungspunkte einer fünfdimensionalen geschlossenen Kurve zwischen dem Grüneburgpark, einer vereinzelten zerfledderten Wolke am Himmel, dem gestrigen Vormittag, einer flüchtigen Sekunde in zweihundert Jahren sowie der Stadtgrenze von Offenbach und zerfetzten mit ihren multipolaren Gezeitenkräften einen von Cleas Bewachern, während sie den anderen auf ein Gesamtvolumen von weniger als anderthalb Fastnichts zusammendrückten und damit aus der Wirklichkeit hinauspreßten.
    Clea bekam davon nur einen Tanz vorwärts und rückwärts ziehender und zerrender Augenblickszeit mit.
    Die große Spiegelscherbe fiel auf den Bretterboden und zersprang in kleinste Stücke.

12.
Deutschlands Drunter- und Drübergang
     
    Das Land erschrak. Es wurde in sich selbst hineingekeilt.
    Da nahm die Zeit es hoch und setzte es sich selbst als Pfropfen auf. Mittels lokal wegweise zusammenhängender Einkerbungen, die nicht von schlechten Eltern waren, wurde das Land plombiert. Die Einwohner konnten die Grenzen zwischen den Bezirken nicht mehr vor Augen halten: Das herbstbraune Eichsfeld, ehemals Zonengrenze am Nordwestrand des Thüringer Beckens, füllte sich mit Autoleichen, die eine unbestimmbare Menge Menschen erschlugen, obwohl sie nicht direkt vom Himmel fielen, sondern aus kleinen Ritzen und Schlitzen im Ganzen rausgequollen kamen. Luftschichten am Rand zahlreicher Horizonte vieler Individuen sonderten sich nicht mehr klar von den Bergen ab, sondern rutschten drunter durch. Das Festland an der Ostsee schied sich nicht mehr ordentlich vom Meer. Statt nur einer einzigen Nikolaikirche flackerten inHamburg drei Minuten lang zwei davon gegen ein zugleich abendrotes wie nachmittagsblaues Himmelstoben. Der Turm der einen bohrte sich von oben in die schlechten Weltkriegserinnerungen der andern und umgekehrt, ohne daß mehr dabei kaputtgegangen wäre als der keksige Verstand einiger Fischweiber, die in diesem Moment dahin blickten, wo das Unfaßbare geschah. Ein großer Montag mit Kamelen stülpte Flüsse und halbierte Verluste voller klatschsüchtiger Singularitäten über den Warnemünder Strand, während die welligen Hügel des Saarlandes von fellfreien Stellen punktiert wurden, die grau zusammenliefen und ein paar Feiertage in die Zange nahmen, welche sich, böse sirrend, widerstandslos abschaffen ließen. Aus der sanitären Abflußröhre des Heinz-Nixdorf-Museumsforums in Paderborn ergossen sich Myriaden vernunftzerstörender Wahnideen direkt in die Vergangenheit, nämlich in Friedrich Nietzsches Hirn. Die Mecklenburgische Schweiz wurde dreizehn Zentimeter nach links geschoben und schnalzte dann, als hätte sich’s der ganze Unsinn anders überlegt, wieder an ihren alten Platz zurück, was zahlreiche Frösche fürchterlich mitnahm. In allen Großstädten vergingen bei den Verschlingungen und Verwüstungen im Schnitt zwei

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