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Deutschland macht dicht (German Edition)

Deutschland macht dicht (German Edition)

Titel: Deutschland macht dicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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übertrieben grob erwiderte er auf Rosalies Erzählung: »Laß mich das jetzt lesen, bitte.« Merkwürdig war, daß das, was er da vor sich hielt, ausgerechnet der Sportteil war, an dem er sonst selten Interesse zeigte.
    Rosalie fiel das auf: »Wieso willst du denn auf einmal wissen, ob der Ball kaputt ist?«
    »Mpf«, sagte Bernd Vollfenster.
    »Ist das jetzt das neue Ding, wer im Weitspucken gewinnt?«
    »Champions League.«
    »Was?«
    »Ich lese etwas über die Champions League.«
    »Klingt total zum Kotzen.«
    »Sei nicht so vorlaut.«
    Immerhin hatte er wahrgenommen, was sie gesagt hatte. Rosalie sonnte sich eine Weile im Glanz der Vorstellung, daß Hendriks Frechheit allmählich auf sie abfärbte. Vergnügt aß sie ihr Frühstücksei und wäre nicht im Traum auf den Gedanken gekommen, daß ihr Vater erst im Artikel über die Champions League und dann in einem Bericht über die Trainersituation bei ArsenalLondon nach Schlüsselworten suchte, die im Laufe der letzten Monate, einem Plan folgend, der »Monogenis-Projekt« hieß, allmählich überall in die Artikel der Erhabenen Zeitung eingesickert waren, um erstens die Traumlandschaft, zweitens die Wunschreichweite und drittens die Weltorientierung der Einwohner Deutschlands unmerklich, aber wirkungsvoll zu verschieben.
    Als Rosalies Vater den letzten Absatz des Artikels erreichte und tatsächlich fand, wonach er forschte, wurde die veränderte Raumzeitordnung, in der sich alle für unsere Geschichte maßgeblichen Personen befanden, zum Knoten geschürzt.
    Es gab ein kurzes, schlürfend saugendes Geräusch in bombastischer Lautstärke. Dann war’s passiert: Deutschland hatte dichtgemacht.

11.
Die Entführte
     
    Clea fand ihr Gefängnis gar nicht übel.
    Es war kein Kellerverlies, sondern der Dachboden eines alten Holzhauses am Waldrand. Der Schuppen hatte lange der Bundesbahn gehört, jetzt gehörte er niemandem. Ihre drei Bewacher Pitsch, Martin und Osman behandelten sie gut genug, brachten zwar selten sofort, was Clea wollte – etwas zu trinken, ihre Tasche, Lektüre –, und schnauzten sie hin und wieder als »Tussi« oder »Zicke« an, beherrschten sich aber ansonsten.
    Es roch hier angenehm nach feuchtem, warmem Holz, ein bißchen auch nach Hausstaubmilben. Die alte Spiegelscherbe, in der sich Clea betrachtete, während es draußen langsam dunkel wurde, verwandelte die Entführte in eine edle, hundert Jahre alte, fleckige Fotografie. Daß sie mit ihren aufgeworfenen Lippen etwas Entenhaftes hatte, sagten ihr immer wieder Leute, die sie nichtmochten, vor allem die alberne Rosalie, die sich Hendrik nach dieser Geschichte hier jedenfalls abschminken konnte. Denn wie schön die Rehaugen auch sein mochten, die sein »Röschen« ihm machte: Mit der Komplizenschaft bei einem Kapitalverbrechen konnten die es jedenfalls nicht aufnehmen.
    Klar lasse ich mich entführen, hatte Clea gedacht, als Hendrik und Martin ihr die Sache vor vier Wochen am Mainufer vorgeschlagen hatten.
    Mama kann’s finanziell verschmerzen, langweilig ist mir auch, und Hendrik wäre danach reich, was die soziale Kluft zwischen mir und ihm erst mal schließen dürfte. Natürlich konnte er den Schotter nicht gleich ausgeben und mußte sich auch später eine ganze Weile geschickt dabei anstellen.
    Aber Clea, deren Taschengeld kaum üppig bemessen war, wußte am besten, daß es nicht darauf ankam, wieviel Geld man ausgab, sondern darauf, wieviel man hatte – wieviel man, kurz gesagt, wert war , alles in allem.
    An ihrer Schule gab es keine armen Menschen.
    Hendrik aber war nur, was Cleas Mutter »Akademikerkind« nannte, und das hieß soviel wie »zerlumpt«, verglichen mit ihr selbst. Ein magischer Rauschgoldengel aller Salons und Ballsäle wäre ich vor hundert Jahren gewesen, fand Clea beim erneuten Blick in den Spiegel. Im Alltag, fiel ihr ein, kam sie sich viel gefangener vor als auf diesem Dachboden.
    Osman und Pitsch brüllten unten halbernst herum.
    Ich und mein dämlicher Tagesablauf, der mir nicht gehört, dachte Clea – die Proben, die sozialen Verpflichtungen, die Fahrschule, obwohl ich gar keinen Führerschein machen möchte, dabei gibt es Mädchen in meinem Alter, die das liebend gern täten, wenn sich’s ihre Eltern bloß leisten könnten – goldener Käfig, weh mir. Dann aber kam Hendrik, trat, wie heißt das, in mein Leben,hat mir gezeigt, was ich erst habe sehen müssen, um es zu glauben – nicht nur das Geknutsche im Kino und die zwei Partys, auf denen wir zusammen waren,

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