Deutschland macht dicht (German Edition)
bedeutet umkrempeln«, sagte der Hase.
»Wie Revolution«, ergänzte der älteste Kommunist Deutschlands.
»Nicht ganz«, berichtigte der Hase, »Revolution meint eigentlich Umlauf und Umdrehung. Wie beim Sonnensystem, oder im Bohrschen Atommodell. Involution dagegen ... das ist in der Topologie so etwas Ähnliches, wie wenn du eine Jacke von innen nach außen krempelst. Eben das ist mit der Welt, die du kennst, an bestimmten Stellen passiert, als Deutschland dichtgemacht wurde. Hier zum Beispiel, vor uns auf dieser Lichtung, ist Natur, also der Hund, die Vögel, die Bäume, das ganze Agencement , umgekrempelt worden zu Kultur, wie Stadt zu Waldlichtung ... ich nehme an, daß wir keine ... wie sagt man ... rockenden ... Tiere und Pflanzenjenseits dieses Ortes finden werden. Solche Effekte sind immer streng lokal. Wahrscheinlich ist das im ganzen Land die einzige Stelle, an der die Transformation genau diese Form annimmt.«
»Bin beruhigt«, quengelte Rosalie, während die Seger-Nummer, dem Kommunisten zuliebe, in eine zerkläffte Version des »Arbeitereinheitsfrontliedes« überging:
Drum Waff zwei Wuff,
Drum links grrwuff waff
Wo dein waff Genosse blaff
Rrrglknurr ...
Der Alte reckte leicht zerstreut die linke Faust, so gut und zitternd es ging. Rosalie nahm Mandelbaum hoch, der sich dafür bedankte, und sagte: »Wenn das der einzige Ort ist, an dem das so passiert, dann habe ich davon jetzt genug gesehen. Wir hauen ab, okay? Du weißt offenbar genug, also weißt du auch, wo es ein bißchen normaler aussieht. Da will ich hin.«
»Gern«, sagte Mandelbaum, »wir haben wichtigeres zu tun, als hier herumzustehen.«
15.
Gardinenpredigt
Clea freute sich nicht gleich über das, was sie vorfand. Es war ihr anfangs zu erstaunlich.
Nachdem die Millionärstochter, einigermaßen schockiert von den Überresten des nicht ganz aus der Welt Gedrückten ihrer beiden Bewacher, die sie beim Heraustreten aus ihrerabgestürzten Holzdachkammer im Gras gefunden hatte, eine Weile im zunehmenden Dunkel dichter Baumhaufen herumgeirrt war, fing sie an, sich zu fürchten. »Bin ich wach?« fragte sie sich.
Sie war mitten im Wald. Da stand vor ihr ein mit zahlreichen Flutlichtscheinwerfern taghell angestrahltes, mehrstöckiges Parkhaus aus Beton. Sie lief, benommen wie sie war, staksend darauf zu und hielt Ausschau nach einem Parkwächterhäuschen. Sie fand eins. Darin befand sich allerdings niemand. Clea ging nicht tiefer ins Gebäude als bis auf die erste Parkebene, die lückenhaft mit Autos vollgestellt war. Auch dort sah sie keinen Menschen. Nichts antwortete auf ihr Rufen: »Hallo? Hallooo? Ist hier irgendwer?«
Es war hier zwar wärmer als draußen, dafür aber würgte die Luft sie stickig und abgasschwer im Hals. Deshalb lief sie wieder hinaus und setzte sich auf einen schmalen Streifen Bürgersteig, der einladend unterm Parkhausrand hervorstand.
Erdverschmiert, mit Laub bedeckt, leicht zerkratzt und angeschlagen trat vor ihr Hendrik aus dem Unterholz.
»Clea ... Mensch ... Gott sei Dank«, ächzte er und ließ sich helfen, »da hinsetzen ... würd’ mich gern da hinsetzen. Ja. So. Oh je, hab’ schon gedacht ... ich war bei der Hütte, hab’ sie gerade noch ... erreicht, als diese ... als das passiert ist, der Irrsinn. Ich hab’ nur die zerrissenen ... den armen Kerl gefunden. Ich dachte, du wärst auch futsch.«
Clea lächelte und versuchte, das teilnahmsvoll aussehen zu lassen. Dabei fühlte es sich eher triumphierend an: Er macht sich einen Kopf meinetwegen, sehr gut.
»Was ist hier überhaupt passiert?« fragte sie, und pflückte ihm Blätter, Hölzchen und Stöckchen vom T-Shirt und aus den Haaren.
»Keine Ahnung. Vielleicht ein Al-Kaida-Anschlag mit Atombombe. Ich bin mit dem Moped her.Das Ding hat’s mitsamt dem Weg nach links gelegt, in der Abfahrt vom Bahndamm zur Hütte. Dann bin ich in den Dreck gerutscht und ... da war so’n Gefühl, daß sich die Welt umdreht.« »Umdreht? Du meinst, alles stand auf dem Kopf?«
»Mehr so, wie wenn sich der Magen umdreht.«
Er öffnete die Augen und sah Clea an, nicht gerade verliebt, aber erleichtert: ein Mensch, ein vernünftiges Gegenüber, das ihm vielleicht helfen konnte, sich zurechtzufinden.
»Was meinste, Clea? Was machen wir jetzt?«
»Hast du dein Handy dabei? Ich hab’ meins den Jungs gegeben und ... wollte es vorhin nicht suchen. Da ...«
»Nee, Handy hab’ ich nicht«, sagte er, »weil ich nämlich gar kein Handy hab’, weißt du.«
Clea
Weitere Kostenlose Bücher