Deutschland macht dicht (German Edition)
Assyriens, grüne Tinkturen, Liebeszauber, Wetterverwünschung und Nekromantie zur Verfügung.
»Ergreift das Gebilde! Fangt es und holt es mir her, meine Kinder!« keifte das Kebsweib aus Lautsprechern, die so derb übersteuert waren, daß man ihr Pfeifen bis ins Weltall hören konnte.
»Ich will’s haben! Muß es haben! Ich werde es töten und kochen!«
Die Stunden, die seit Beginn der neuen Zeit verstrichen waren, hatte die Hexe dazu genutzt, ihre Katzen mit Magie und schamanischer Bionik, zu deren Vervollkommnung sie in ihrem neuen Hyperhexenhaus allerlei Trivialzutaten wie Klebstoff, Bohnen in Dosen und Scheuerwolleaufgetan hatte, in reißzähnige Ungeheuer auf spinnenstaksigen Stelzenbeinen zu verwandeln. Zwei Gruppen zu je einem halben Dutzend Tieren klapperten von links und rechts auf das Kunstwerk zu, das sich im selben Moment schlagartig darüber klar wurde, was für Nahrung es benötigte: Zeitungen. Ausschließlich Zeitungen, das war’s.
»Kommt nur ran«, knurrte das Kunstwerk. »Stelzenbeine, brrr. Dalí-Kitsch!« Wartet nur, dachte es grimm, so surrealistisch wie ihr kann ich schon lange! Aus seinem Innersten hustete es blaue Flammen, stellte sich auf seinen Holzständern schief und ließ Feuerkugeln als heiße Tropfen von Rand und Rahmen fallen.
Kaum auf dem Boden angelangt, rasten die kompakten Blitzbälle auch schon zwischen den überraschten Katzen hin und her, bissen ihnen in die Beine, versengten und verkohlten sie, fraßen die Stelzen bis auf Stümpfe ab und gerbten den hilflos am Boden liegenden, sich windenden und zuckenden Monstern die schmutzigen Felle.
Entschlossen zur Konfrontation mit ihrer Herrin schritt das Kunstwerk geradeaus.
»Fluch dir!«
Die Hexe setzte Wäscheklammern, einen Hammer und die weiße Sandale des Narcissus ein, um ärgsten Zauber zu schleudern. Es klirrte falsch. Es rumpelte verboten.
»Schnauze.«
Das Kunstwerk parierte geschickt mit einem Happening in Licht und Raum. Richtungen rumpsten. Ein großes Zack entstand und klingelte rückwärts.
»Weiche, weiche!«
Die Hexe warf mit verwünschtem Zimt, ließ Quecksilber regnen, blies Muskat und Pfeffer aus der Nase und kotzte kupferfarbene Eisbrocken aus.
Ein hochverqueres Rascheln streckte sich, auf daß ein Scheppern daraus würde.
»Fresse!«
Das Kunstwerk spie Neo-Dada-Manifeste, Schnappschüsse, Videos und Fluxusflocken. Dann schmiß es eine Truhe mit Speiseeis um.
Bratzigkeiten brockten, Nichtiges fing an, im Ultraschallbereich zu nörgeln.
»Hebe dich ...«, begann die Hexe und griff nach ihrem Beutelchen mit Krötenaugen, um sie auf den Weg zu streuen, den das Kunstwerk würde gehen müssen. Es reagierte geistesgegenwärtig mit pürierten mixed media, welche die Hexe unter sich begruben, ihr das Genick brachen und sie danach langsam und genüßlich in fünf kantige, aber drehsymmetrische Teile sägten.
»Na also.«
Das war gar nicht so schwer gewesen, fand das Kunstwerk.
Inzwischen brennend hungrig schritt es den verwüsteten Kampfplatz ab und war erleichtert, als es ein Bord mit Zeitschriften und aktuellen Tageszeitungen fand. Es machte sich jedoch nicht wüst darüber her, sondern aß in Muße, zerkaute jede Phrase, alle wichtigen Neuigkeiten – eine Weile, nahm es an, dürfte es wohl nichts dergleichen mehr geben, zumindest nicht »aus aller Welt«.
Am Ende des Mahls, als das Kunstwerk sich die schmale Eßluke mit einem Bündel Frauenzeitschriften abtupfte, ließ ein Geräusch es zusammenfahren: Knispeln zwickte, Knacken wurmte. »...fe? ...fe?«
Das hatte kläglich geklungen, fand das Kunstwerk, also kaum bedrohlich.
Beim zweiten Mal war’s deutlicher zu hören: »Hilfe. Hilfe? Ist da ... ist da wer?«
Vorsichtig genug, doch nicht übertrieben ängstlich ging das Kunstwerk die eingedellten Reihen der Warenregale entlang, zwischen denen die kurze, aber heftige Schlacht mit der Hexe sich ereignet hatte. Am Abstellplatz für Kisten mit leeren Flaschen stand ein großer Tisch, um denzerstreut verstümmelte Kanzlerbestandteile vergammelten. Auf der Tischplatte, mit Lederriemen, Nägeln, Gabeln und Bindfaden festgesteckt, lag rücklings Rosalies Vater Bernd Vollfenster und ächzte. Seine Beine waren in Schienen aus gehärtetem Gips und Pappmaché eingesperrt, die ein Zauberspruch bruchsicher versiegelt hatte.
»Hallo? Ist da ... ah, oh, ein ... ein Werk. Gott sei Dank. Ich kann meine Beine nicht bewegen.«
»Wieso nicht?«
»Die ... diese Hexe. Sie hat sie mir wahrscheinlich abnagen
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