Deutschland macht dicht (German Edition)
ja cool, du Arschloch!« wehrte sie sich hilflos.
Er lachte trocken und schob sich an ihr vorbei, ohne sie anzusehen. Auf dem Weg nach innen, um ganz so, wie ihr das eingefallen war, ein Telefon zu suchen, spuckte er: »Lach’ halt noch ’n bißchen, so wie du immer lachst, wenn du mit uns rumhängst, auf dem Hof, und nicht raffst, daß wir nicht mit dir, sondern über dich lachen, über diese unfaßbaren Blödheiten, die du dauernd von dir gibst und machst, weil du so blöd, so saublöd bist, daß du sogar denken kannst, es könnte cool sein, wenn man kein Geld hat. Für dich ist es Tourismus, für andere ist es das Leben, und alle Menschen hassen Touristen, besonders solche, die alles zum Lachen finden, da, wo sie nicht leben müssen.«
Damit ließ er sie stehen. Das erste Mal in ihrem jungen Leben fühlte sich Clea Pinguin keineswegs wie eine Touristin, sondern wie ein Flüchtling.
16.
Kunst hat Hunger
Fünfzehn Minuten neuer deutscher Inertialzeit benötigte das alleingelassene Kunstwerk, das Clea Pinguins Mutter eben noch hatte kaufen wollen, um sich an die Gegebenheiten zu gewöhnen. Dann erst bemerkte es, daß der Hase Mandelbaum verschwunden war.
»Tolle Show«, knurrte das Kunstwerk. Brütend und unbeweglich blieb es eine Weile an Ort und Stelle stehen, bis ihm nach weiteren fünfzehn Minuten auch das zu fade wurde. Aus Jux und Spuk versuchte es, die Standbeine des Gestells zu bewegen, auf das man es montiert hatte. Überrascht stellte es fest, daß das neuerdings tatsächlich ging. Mit etwas Mühe kam es durch die Tür.
Dann fiel es die Treppe hinunter aus dem Haus und lag zunächst verärgert auf der Seite, war aberintakt geblieben und hatte die Kontrolle über seine beweglichen Gliedmaßen bewahrt. Zwei Zeugen Jehovas, die beim Klingeln heute wenig Glück gehabt hatten und deren Frisuren vom Untergang reichlich zerzaust waren, hörten das Kunstwerk stöhnen, richteten es auf und wollten mit ihm über Jesus reden. Das Kunstwerk schlug ihnen das ab, mit der nicht ganz verkehrten Begründung: »Jesus ist für Menschen.«
Die Zeugen hörten es mit Bedauern.
»Wissen Sie, im Vertrauen«, sagte der ältere und müdere der beiden, »wenn der Weltuntergang dann schließlich passiert, und es öffnet sich nicht das Wolkendach, und es kommen keine himmlischen Heerscharen angeritten, dann wird einem natürlich leicht zwiespältig.«
Das Kunstwerk nickte verständnisvoll, aber da es keinen Kopf, sondern nur eine Tafelfläche hatte, interpretierten die beiden Zeugen das als undankbaren Angriff des Geschöpfs, das sie so freundlich aufgerichtet hatten. Sie ergriffen die Flucht.
Das Kunstwerk litt Hunger.
Es wußte nicht, was es essen sollte, weil es noch nie Hunger gehabt hatte. Deshalb machte es sich auf den Weg, um irgendwelche Läden – vielleicht solche für Inneneinrichtung, oder Kunstbuchhandlungen? – zu suchen, in denen es etwas seinem Appetit Angemessenes geben mochte.
Nach einiger Zeit der Suche zwischen Vorstadtvillen, Trümmern eines Münchner Riesenrads, umgestürzten Blumentrögen vom Vorplatz des Hannoveraner Opernhauses und Dachschindeln der St. Laurentius-Kirche von Rottach-Egern am Tegernsee erreichte das Kunstwerk, das sich allmählich immer weniger minimalistisch und schon fast ein wenig nach Renaissance fühlte, einenehemaligen Dumping-Supermarkt auf freier Fläche. Ob es sich ursprünglich um eine »Plus«-Filiale, einen »ALDI« oder einen »Penny Markt« gehandelt hatte, war nicht mehr auszumachen. Ein Ungeheuer hatte den Ort in Besitz genommen und verwandelt: Die alte Etzel, ehemalige Nachbarin der Familie Vollfenster, die jetzt nicht nur aussah wie Mick Jagger, sondern sich auch so kleidete (inklusive zu enger Jeans und grober Leinenhemden mit offenem Kragen), hatte ihren Vampirkatzen befohlen, ein Hauptquartier samt Labor für Schimärenforschungen einzurichten. Die tückischen Geschöpfe hatten dem Befehl in Windeseile entsprochen, danach sah der Ort jetzt aus.
Daß die Alte eine wirkliche Finsterhexe geworden war, gehörte zu den Feldeffekten der Selbstverschlingung Deutschlands, die den Hasen Mandelbaum faszinierten: Eben noch hatte sie nichts Esoterischeres gewußt als ein paar Kuchenrezepte, Stammbäume der wichtigsten europäischen Fürstenhäuser und Hausmittel gegen unbedeutende Malaisen. Jetzt aber standen der Erzbösen Kenntnisse über die Essenzen Ägyptens, den Drudenfuß, die dunklen Götter Belial und Motörhead, den Stein der Weisen, die Jungfrauenopfer
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