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Deutschland macht dicht (German Edition)

Deutschland macht dicht (German Edition)

Titel: Deutschland macht dicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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leise schnurrend auf der eierschalenfarbenen Kommode saß, näherte sie sich auf Zehenspitzen dem Tier und schmeichelte ihm: »Na, du Schöne? Du Feine?«
    Sie war bezaubert und ahnte nicht, daß im selben Moment der Professor unten im Wohnzimmer auf einen intelligenten, sprechenden Käse mit Armen und Beinen stieß, in dessen exakt sechzig Löchern exakt sechzig Dynamitstangen steckten.
    An der vorderen Tür des von ihr und Kilian besetzten Hauses machten sich unterdessen zwölf billige Männer, Aktuatoren des Bösen, verbissen zu schaffen. Von den jüngsten taktischen Fehlern ihrer mit der Auffindung und Ingewahrsamnahme Clea Pinguins betrauten Kameraden hatten sie gelernt. Leise war, was sie trieben, und sie konzentrierten sich.
    Hilde Pinguin erlebte all dies in dreifaltiger Form:
    1. Sie hörte, wie der Professor rief: »Liebe Güte, was ist denn DAS?«
    2. Sie sah, wie die Katze erschrocken von der Kommode sprang.
    3. Sie spürte, wie der Boden unter ihren Füßen bebte, als der intelligente Käse, der sich aus durchaus guten Gründen bedroht fühlte, drei seiner Dynamitladungen in den Raum schleuderte, nachdem er ihre Lunten mittels nackter Willenskraft entzündet hatte.
    Als die Sprengladungen detonierten, zerrissen sie die ersten vier der ins Haus einfallenden billigen Männer und den Gelehrten. Der Käse hatte sich unter einem großen Schrank aus Nußholz in Sicherheit gebracht.
    Als der Qualm sich verzog, genug Kalk von der Decke gerieselt war und die überlebenden billigen Männer anfingen, von draußen haltlose Drohungen wie »Wir kommen jetzt rein!« oder »Ihrwerdet schon sehen!« zu grölen, kroch Hilde Pinguin, mit unzulänglichen Kostümresten bekleidet, auf allen vieren zum Treppenhaus und gelangte gerade rechtzeitig weit genug, um den Käse laut rufen zu hören: »Wagt es nicht, ungläubige Schweine! Wahrlich, ich sage euch: Ihr habt euren Lohn dahin!«
    »Es wird immer abwegiger«, murmelte Hilde Pinguin.
    Die goldenen Augen der Katze unterm Bett leuchteten schlau.

20.
Rekrutierung
     
    »Was für eine traurige Truppe.« Der älteste Kommunist Deutschlands schüttelte den Kopf.
    »Traurige Truppe«, wiederholte er, weil er an dem Stabreim seine bescheidene Freude hatte. Arbeiter waren das hier keine. Vor ihm saßen trist beisammen eine taube Nuß, ein armer Teufel und ein Ausgestoßener.

    Die taube Nuß war neunundzwanzig Jahre alt, sandblond und nett. Sie arbeitete seit sechs Jahren in einer Bahnhofsbuchhandlung, die hauptsächlich von seit gestern schlagartig verschwundenen Menschen aus exotischen Ländern frequentiert wurde. In ihrer Zeit an der Kasse hatte sie nicht mehr gelernt, als daß man hin und wieder »Die Tageszeitungen sind nicht zum Lesen da!« und »Bitte keine Zeitschriften anfassen!« rufen mußte, damit man nicht einschlief, wenn man keinen besseren Job hatte als ihren.
    Der arme Teufel war ein zweiunddreißigjähriger ehemaliger Germanistikstudent, litt an leichtem Untergewicht, fuhr seit ein paar Monaten mit einem Rollwagen voll zahnfeindlicher Limonade, muffiger Würste und bröseliger Kekse durch überfüllte ICEs und bat die Leute bei dieser Gelegenheit ununterbrochen darum, ihm etwas abzukaufen.
    Der Ausgestoßene war ein einundvierzigjähriger Obdachloser, sah aus wie Ende Fünfzig, ernährte sich von Dreck und Schnaps und war dennoch, verglichen mit den anderen beiden und trotz seinem zerschlissenen, sich beinah schon ganz auflösenden Mantel fast ein Facharbeiter, insofern er nämlich Spuren von Planung und Überlegung in seinen Beruf investierte, was den andern beiden längst nicht mehr möglich war. So hatte er zum Beispiel herausgefunden, daß seine Einnahmen sprunghaft anstiegen, sobald er den Menschen, die er am Bahnsteig, in der Bahnhofshalle und davor mit seinem Elend belästigte, seinen Schwerbeschädigtenausweis zeigte. Tat er das, dann fühlte er sich manchmal fast schon wie ein Polizist. Der Kontrast zwischen der zwar mitleiderregenden, aber immerhin sauberen und ordentlich frisierten Erscheinung auf dem Foto, das seinen amtlich abgesegneten Wrackstatus in der Klarsichthülle beglaubigte, und dem tatsächlichen, verwahrlosten und verkommenen Gesicht, das die potentiellen Spender anredete, war sein Stammkapital. »Traurige Truppe«, wiederholte der Kommunist ein letztes Mal. Dann straffte er den hinfälligen Leib, räusperte sich in seinen Bart und sprach: »Ich werde euch jetzt sagen, was wir zu tun haben.«
    »Ich hab’ gar nichts mehr zu tun«, patzte

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