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Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen

Titel: Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Sarrazin
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Vergleich zu Nichtempfängern mehr rauchen, mehr trinken und weniger Sport treiben, und dann folgte der kryptische Satz:
    »Die Kumulation von Gesundheitsproblemen und Verhaltensrisiken in der Armutsrisikogruppe spricht für die Bedeutung der materiellen Deprivation.« 22

    Naheliegend wäre doch die Vermutung, dass dieselben Persönlichkeitsmerkmale, die den Menschen dazu disponieren, mehr zu rauchen und zu trinken und sich weniger zu bewegen als andere, auch jene sind, die statistisch seine Chance vergrößern, in Einkommensarmut zu geraten. Aber solch eine Analyse wäre politisch eben nicht korrekt.
     
    Glück
    Querschnittsvergleiche von Umfragen in Staaten mit unterschiedlichem Lebensstandard wie auch Längsschnittsvergleiche in Deutschland zeigen, dass das subjektive Glücksniveau jenseits von echter materieller Not ziemlich unabhängig ist vom objektiv erreichten Lebensstandard. Sehr wohl Einfluss auf das Wohlbefinden hat aber die relative Position in der Einkommenspyramide, und zwar nicht abstrakt, sondern in Bezug auf die eigene soziale Gruppe. Dazu zwei Beispiele: Wer sich in den fünfziger Jahren einen Käfer mit 30 PS leisten konnte, während Kollegen, Freunde und Verwandte mit dem Fahrrad fuhren, der zog aus seinem Auto einen höheren Lustgewinn als heute der Fahrer eines Golf mit 120 PS, dessen Bekannte alle große SUV (Sport Utility Vehicle, also Limousinen mit Geländewagen-Outfit), Mercedes S-Klasse oder Porsche fahren. Der Golf-Fahrer fühlt sich da benachteiligt und schimpft auf Arbeitgeber und Finanzamt. Bei Investment-Bankern hängt der Anreiz von Boni nachweislich nicht von deren absoluter Höhe, sondern von der Relation zu den Boni der Kollegen ab. Wahrscheinlich lösen 10 Millionen Euro bei Josef Ackermann ein ähnliches Glücksgefühl aus wie der Empfang der Abwrackprämie von 2500 Euro bei einem Sozialrentner.
    Der materielle Verbrauch ist also ein Zeichen sozialen Rangs. Weil das so ist, werden Maßanzüge, teure Uhren, unwirtschaftlich motorisierte Autos, edle Weine und große Flachbildschirme verkauft. Das heißt aber, dass Transferleistungen, die über die Grundbedürfnisse Nahrung, Kleidung, Obdach hinausgehen, gar nicht rein materiell bewertet werden können. Ein Hartz-IV-Empfänger, der ein höheres Realeinkommen hat als ein Facharbeiter vor 40 Jahren,
ist gleichwohl materiell unzufriedener, weil sein Vergleichsmaßstab ein anderer ist. Damit wird in einer reichen Gesellschaft wie der unsrigen die Diskussion um die Armutsgrenze zu einer unfruchtbaren Stellvertreterdebatte, da es eigentlich gar nicht um materielle Werte geht, sondern um den sozialen Rang und die mit diesem verbundene soziale Wertschätzung. Bereits der Umstand, dass jemand unter die Armutsgrenze fällt und Transferempfänger wird, hat gegenläufige Auswirkungen auf seine Gemütsverfassung: Einerseits empfindet er es als Demütigung, zu den »Armen« zu gehören und damit in der sozialen Schichtung ganz unten zu stehen, andererseits mag er Zufriedenheit daraus ziehen, dass der Staat ihm das sozioökonomische Existenzminimum garantiert.
    Die Armutsdebatte und jede Umverteilungsdiskussion sind von dem Bestreben überlagert, die Ungleichheit der Menschen durch Umverteilung materieller Güter abzubauen oder zumindest zu kaschieren. Das stößt aber an Grenzen: Einerseits sehen die ehrgeizigen, von Erwerbsstreben getriebenen Menschen die von ihnen erarbeitete Ungleichheit auch als Belohnung und verdienten Prestigegewinn an und eine übermäßige Abgabenbelastung auf das nach ihrem Empfinden gerecht Erworbene als einen ungerechten staatlichen Eingriff. Auf der anderen Seite fühlen sich die weniger Begünstigten und weniger Ehrgeizigen durch zuviel materielle Ungleichheit bedroht. Sie begrüßen zwar die staatliche Umverteilung, aber sehen sich gleichwohl gedemütigt, wenn sie staatliche Einkommenshilfen annehmen müssen. Dass sie auf der sozialen Skala so weit unten rangieren und von staatlichen Transfers abhängen, trübt ihre Stimmung. Höhere Zahlungen können daran nichts ändern, im Gegenteil: Wenn die Armutsgrenze durch höhere Transfers angehoben wird, steigt die Zahl der unter diese Grenze fallenden Menschen, und damit steigt die allgemeine Unzufriedenheit. Allein unter dem Glücksaspekt gesehen ist der Ertrag weiteren Wirtschaftswachstums für das menschliche Glück also fragwürdig, wenn das Wachstum verteilungsneutral ist und niemand seine relative Position verbessern kann. 23
    Unser Grundgesetz garantiert die

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