Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
sozialen und gesundheitlichen Versorgung in allen Bezirken weitgehend gleich sind. Alle Empfänger von Transferleistungen sind Mitglied in einer gesetzlichen Krankenkasse und haben genau dieselben Leistungsansprüche wie jedes andere Mitglied.
Die Unterschiede in der Lebenserwartung ergeben sich größtenteils aus Herzkreislauf-Erkrankungen und bösartigen Neubildungen. Das eine wie das andere hängt nicht unerheblich vom Lebensstil ab (Ernährung, Bewegung, Tabak- und Alkoholgenuss). In Friedrichshain-Kreuzberg sind 40 Prozent der Bevölkerung Raucher, in Charlottenburg-Wilmersdorf dagegen nur 29 Prozent. 19 Individuelles Verhalten, nicht Armut steckt hinter solchen Zahlen. Umgekehrt ist richtig, dass Armut auch die Folge individuellen Verhaltens ist und wiederum die Armutslage Verhalten prägen kann.
Wenn es einen Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit
gibt, dann äußert sich dieser über Verhaltensparameter, nämlich über Ernährung, Suchtverhalten und körperliche Bewegung. Im Armutsbericht der Bundesregierung heißt es:
»Armut und soziale Ausgrenzung als Folge mangelnder Ressourcen und Bewältigungsmöglichkeiten stellen sowohl für Kinder und Jugendliche als auch für deren soziale Netzwerke eine hohe Belastung dar. Armutsrisiken in Familien beschränken sich dabei nicht allein auf unzureichende finanzielle Mittel. Bei Kindern und Jugendlichen zeigen sich zusätzlich Entwicklungsdefizite, Unterversorgung mit der Folge gesundheitlicher Probleme und soziale Benachteiligungen, etwa durch mangelnde Integration in der Schule und unter den Gleichaltrigen. Es besteht auch ein Zusammenhang zwischen gesundheitlicher Entwicklung (körperlich und seelisch) und materieller Versorgung. Ernährungs- und Gesundheitsverhalten sind beeinträchtigt: Je knapper die sozioökonomischen Ressourcen, desto schlechter ist auch die Ernährung.« 20
Diesen Absatz muss man zweimal lesen, um ihn zu verstehen. Offenbar hat bei der Formulierung die politische Korrektheit über die Verständlichkeit gesiegt. In verständlichem Deutsch müsste er ungefähr folgendermaßen lauten:
Von Transfers abhängige Familien haben nicht nur mit begrenzten materiellen Möglichkeiten zu kämpfen. Sie können häufig auch nicht so gut mit Geld umgehen und verfügen oft nicht über die Energie, die Planungsfähigkeit und die Fertigkeiten, die Familie gesund und ausgewogen zu ernähren. Das beeinträchtigt die Schulleistungen der Kinder. Da sich die Eltern in diesen Familien auch sonst wenig um die Kinder kümmern - machen sie regelmäßig Hausaufgaben, bewegen sie sich ausreichend, sitzen sie nicht zu viel vorm Fernseher oder vorm Computer -, sammeln sich bei diesen Kindern häufig Entwicklungsdefizite an, mit der Folge, dass sie in der Schule zurückbleiben. Das beeinträchtigt ihr Selbstbewusstsein und ihre Möglichkeiten, mit stabileren Kindern, die meist auch
bessere Schüler sind, Kontakte und Freundschaften aufzubauen. So befördern die häuslichen Verhältnisse gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Übergewicht und Fehlernährung sowie schlechte Schulleistungen.
Kürzer gesagt: Nicht die materielle, sondern die geistige und moralische Armut ist das Problem . Diese wirkt sich auf das Verhalten aus und das wiederum auf die Gesundheit. Solche einfachen Wahrheiten sind aber politisch nicht opportun und werden daher so gut wie möglich verschleiert. Am Robert-Koch-Institut wurde beispielsweise als Vorarbeit zum 2. Armutsbericht eine sehr aussagekräftige Analyse »Armut, soziale Ungleichheit und Gesundheit« verfasst, in der die zugänglichen Daten und Fakten kenntnisreich zusammenstellt sind.
Die Analyse belegt, dass die für die Gesundheit relevanten Faktoren ausschließlich verhaltensabhängig sind, gleichwohl sprechen die Autoren in dem Bericht wiederholt von der »gesundheitlichen Chancenungleichheit«. 21 Als empirischen Beleg liefern sie aber nur Faktoren, die nicht vom Einkommen, sondern ausschließlich vom Verhalten abhängig sind, nämlich
• Übergewicht (Ernährung, Bewegungsmangel)
• Diabetes (Übergewicht, Ernährung)
• Leberzirrhose (Alkohol)
• Lungenkrebs (Tabak).
Die Verkennung oder Verdrängung von Kausalitäten ist typisch für große Teile der Armutsforschung. Die Forscher des Robert-Koch-Instituts beschrieben zunächst ausführlich, dass Pflichtversicherte im Vergleich zu nicht Pflichtversicherten, Bezieher niedriger Einkommen im Vergleich zu Beziehern höherer Einkommen, Empfänger von Sozialhilfe im
Weitere Kostenlose Bücher