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Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen

Titel: Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Sarrazin
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langweilig, erzählte sie. Kochen könne sie nicht, ihre Eltern, ebenfalls Hartz-IV-Empfänger, auch nicht. Wenn man wenig Geld habe und nichts zu tun, schlichen die Tage eben so dahin. Ich war schockiert: Diese gar nicht unintelligente und eigentlich grundvernünftige Frau lebte in der Blüte ihrer Jugend von staatlicher Unterstützung mit ihrem Freund im eigenen Hausstand und schlug die Chancen aus, die sich ihr boten, weil niemand ein bisschen Druck ausübte und Schwung in ihr Leben brachte. Das geschieht millionenfach in Deutschland, und das ist der Skandal! Durch unsere Art, die materielle Armut zu lindern, fördern wir millionenfach Passivität, Indolenz sowie die Armut im Geiste und rauben den Menschen Stolz und Selbstbewusstsein.
     
    Ungleichheit
    Armut in Deutschland offenbart sich im sozialen Vergleich: Wer weniger hat als andere, mit denen er sich vergleicht, fühlt sich ärmer, sei es, dass alle Auto fahren und er selbst Fahrrad, sei es, dass er nur zwei gute Hosen besitzt und andere fünf, sei es, dass er noch einen Röhrenfernseher hat und andere einen großen Flachbildschirm. Dies ist die klassische Problemlage eines Empfängers von Transferleistungen. Ein 21-jähriger Student dagegen hat zwar noch weniger Geld, aber er fährt gerne Fahrrad, hat im Augenblick nur eine gute Hose und macht sich nichts aus Fernsehen. Geld ist nicht sein Problem, er hat ganz andere: Die attraktiven Mädchen interessieren sich immer für seine Freunde; das Erasmus-Stipendium in London wurde ihm verwehrt, sein Freund darf aber hin. Der subjektive Leidensdruck dieses Studenten ist mindestens so groß wie der des Transferempfängers, er ist allerdings nicht arm an Geld, sondern arm an Chancen bei Mädchen und vor der Stipendienauswahlkommission.
    Nach Amartya Sens Definition von Armut als Armut an Teilhabemöglichkeiten würde sich dieser Student sicherlich als arm bezeichnen: Die begehrten Mädchen übersehen ihn, und das Auslandssemester in London ist ihm verwehrt. Das betrübt ihn und lässt ihn
die Welt als ungerecht empfinden. Die Welt ist ungerecht. Die Gaben der Natur - Schönheit, Intelligenz, Gesundheit - sind ungleichmäßig verteilt und nicht nach dem Grundsatz, dass der, der die schönere Seele hat, auch die bessere genetische Ausstattung erhält. Der Zufall, ob man in Somalia oder Deutschland, in eine wohlhabende Mittelstandsfamilie in Düsseldorf oder als drittes Kind einer allein erziehenden arbeitslosen Hilfsarbeiterin in Duisburg-Hamborn geboren wird, sorgt für weitere krasse Ungerechtigkeiten, und die Wechselfälle des Lebens sowie das Glück und das Geschick, mit denen man ihnen begegnet, tun ein Übriges. Genau betrachtet ist der Gedanke, dass die Chancen der Menschen gleich seien, absurd: Wer schön oder intelligent ist, hat andere Chancen als jemand, der hässlich oder dumm ist. Und diese ungleiche Ausgangslage produziert unablässig Ergebnisse, die noch ungleicher sind.
    Armutsbekämpfung kann daher nur Teil der gesellschaftlichen Bemühung sein, vorhandene materielle Ungleichheiten auf ein von der Gesellschaft als tolerabel empfundenes Maß zu reduzieren. In der Demokratie darf dies nie die Möglichkeit des Einzelnen einschränken, aus seinem Charakter, seinen Fähigkeiten und seinen Eigenschaften das Beste zu machen. Selbst bei vollständiger Chancengleichheit der Ausgangslage würden die unterschiedlichen Begabungen und Einstellungen, die unterschiedliche Gesundheit und das unterschiedliche Glück der Menschen unaufhebbar dafür sorgen, dass menschliches Leben und Wirtschaften zu ungleichen Ergebnissen führen. Damit entsteht relative Einkommens- und Vermögensarmut ständig neu und kann niemals beseitigt werden, solange nicht staatliche Umverteilung für eine weitgehende Gleichheit der Ergebnisse sorgt. Das aber ist in einer Demokratie gar nicht möglich, solange dort die relativ Armen, zu deren Gunsten umverteilt wird, eine Minderheit bilden. Es wäre nur möglich in einer Wohlfahrtsdiktatur, in einem Tugendregime mit Staatsterror. Gleichheit - auch Einkommensgleichheit - hat sich bisher niemals ohne totalitäre Methoden durchsetzen lassen - was regelmäßig in Diktatur und Blutvergießen endete.
    Selbst die maximal erreichbare Gleichverteilung von Einkommen
und Vermögen würde aber nichts an der natürlichen Ungleichheit der Menschen in Bezug auf Eigenschaften, Fähigkeiten und vielem anderen mehr ändern. Unserem unglücklichen Studenten wäre erst geholfen, wenn ihm die begehrten Mädchen

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