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Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen

Titel: Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Sarrazin
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freie Entfaltung der Persönlichkeit. Jeder kann durch Arbeit, Geschick und Glück sein Einkommen
und Vermögen mehren und sollte in diesem Bestreben von der Gesellschaft nicht behindert, sondern gefördert werden. Wenn das möglichst viele Mitglieder unserer Gesellschaft tun, verändern sich zwangsläufig die Verteilungsrelationen, was Einfluss auf das Wirtschaftswachstum haben kann. Jedenfalls verschlechtern sich durch den Erfolg der Strebsamen und Glücklichen die relativen (und vielleicht auch absoluten) Verteilungspositionen der anderen. Wer in der Gleichheit auf möglichst hohem materiellen Niveau ein erstrebenswertes Ziel sieht, für den ist das individuelle Erwerbsstreben eine ständige Bedrohung des Strebens nach mehr Gerechtigkeit durch mehr Gleichheit. Sich durch persönliche und materielle Erfolge von anderen abzusetzen und dies auch nach außen zu zeigen, trägt aber wesentlich dazu bei, dass Menschen sich glücklich fühlen. Darauf gründet der Statuskonsum, der unsere Verbraucherwelt in dem Maße stärker prägt, in dem die realen Konsummöglichkeiten steigen. Zwar wäre es vernünftig, sich mit einem Dacia Logan, C&A-Textilien und einer 60-Quadratmeter-Mietwohnung zu bescheiden. Aber welcher materiell Erfolgreiche möchte das schon, wenn er nicht muss? Also müssen es am oberen Ende der BMW-SUV, der Maßschneider und die Grunewaldvilla sein (beziehungsweise für die Fortschrittlichen das 200-Quadratmeter-Dachgeschoss in Prenzlauer Berg). 24
     
    Freiheit und Selbstbestimmung
    Vergleicht man die Transfereinkommen mit dem Nettoeinkommen aus einfacher und mittlerer Vollzeittätigkeit, stößt man auf die erstaunliche und durchaus erfreuliche Tatsache, dass viele Menschen mit viel Energie für ihren Lebensunterhalt arbeiten, obwohl sie mit Hartz IV und ein bisschen Schwarzarbeit viel besser dran wären. Darüber hinaus wird man feststellen, dass sie sich trotz der Plackerei meist weniger benachteiligt fühlen als der Transferempfänger nebenan, der mit ein bisschen Schwarzarbeit dasselbe oder mehr bekommt.
    Zahlreiche Künstler und viele Studenten leben von Einkommen am Rande oder unterhalb des sozioökonomischen Existenzminimums.
Trotzdem sind sie glücklicher als die meisten Transferempfänger, weil sie ihren persönlichen Rang und ihren Platz in der Gesellschaft nicht aus ihrem Einkommensniveau herleiten und sich unabhängig fühlen.
    Wer frei ist, nicht von staatlicher Unterstützung abhängt, sondern sich selber tummelt, fühlt sich in der Regel glücklicher als jemand, der vom Staat Alimente fürs Nichtstun bekommt. Nur leider erkennt man das Glück oft erst, wenn man es verloren hat - und manchmal selbst dann nicht. Natürlich ist es angenehm, im warmen Bett zu bleiben, wenn beim Nachbarn um 6 Uhr morgens der Wecker klingelt. Es ist angenehm, um 9 Uhr das Frühstücksfernsehen einzuschalten, während der andere hinter dem zugigen Tresen einer Imbissbude Kaffee aufgießt. Aber nach Dienstschluss wird er es sein, der sich wohler fühlt und dem das Feierabendbier besser schmeckt. Gerade die weniger Ehrgeizigen, weniger planvoll Handelnden werden durch die staatlichen Transfers zu einem bequemen Leben verführt, das ihnen allmählich ihren Stolz nimmt, ihre Kräfte lähmt, ihre Begabungen verschmäht und an ihrem Selbstbewusstsein nagt. Das auszusprechen und auf Abhilfe zu sinnen, ist nicht paternalistisch und arrogant, wie viele meinen, sondern geboten - es sei denn, man hält es für verantwortungsvoll, Bedürftigen den Ausstieg aus ihren gesellschaftlichen Zusammenhängen möglichst bequem zu machen.
    Im Zusammenhang mit dem Hartz-IV-Menü lud mich eine Berliner Boulevardzeitung zu einer Diskussion mit einer Hartz-IV-Empfängerin in die Redaktion ein. Ich bat um eine seriöse Gesprächspartnerin und sagte zu. Es erschien eine junge, dunkel gekleidete Frau von etwa 20 Jahren mit ihrem ebenfalls dunkel gekleideten 22-jährigen Freund. Beide lebten von Hartz IV . Die junge Frau hatte zwei Jahre zuvor den Realschulabschluss gemacht. Sie wollte Maskenbildnerin werden, fand aber keine Stelle. Ich habe ihr vorgerechnet, wie hoch der Bedarf an Maskenbildnerinnen bei Fernsehen, Film und allen Theatern in Berlin sei und was das für ihre Chancen bedeute. Ob sie nicht wenigstens eine Ausbildung als Verkäuferin machen wolle? Der Filialleiter bei Lidl, wo sie öfters jobbe, habe sie
das auch schon gefragt, meinte sie. Sie wolle aber nicht. Wie sie den Tag denn verbringe, wollte ich wissen. Ihr Leben sei

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