Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
immer schwingen Eifer und Begeisterung mit, wenn die Befürworter das Modell erläutern.
Bei näherer Betrachtung zeigen sich allerdings Probleme: Alles Umleiten der Ströme von Steuern, Transfers und Sozialleistungen schafft nämlich keine neuen Ressourcen. Die These der Vereinfachung wird durchweg nicht belegt, die Verzahnung mit den bestehenden Anspruchssystemen wirkt nicht präzise durchdacht. Die Berechnungen zur Gegenfinanzierung aus dem bestehenden System sind kompliziert, teilweise widersprüchlich, und es fehlt eine befriedigende Antwort auf die Frage, wie der Übergang zu bewerkstelligen sei. Letztlich liegt das Grundeinkommen bei den durchgerechneten Modellen nicht über dem amtlich definierten sozioökonomischen Existenzminimum von heute (Ausnahme ist das sozialutopische Modell von Götz Werner). Besondere soziale Lebenslagen, etwa der
erhöhte Bedarf bei manchen Krankheiten und Behinderungen, werden auch künftig Ausnahmen und Abweichungen vom einheitlichen solidarischen Bürgergeld erforderlich machen. Und die Abstufung nach Haushaltsgröße und Kinderzahl, das Lohnabstandsgebot und die Anrechnung auf eigenes Einkommen und Vermögen sowie dessen Besteuerung müssen beim Bürgergeld genauso geregelt werden wie bei der Sozialhilfe.
Und was ist mit den Einsparungen? Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle, welches dem geltenden sozialen Existenzminimum der Sozialhilfe entspricht, würde auf der Basis der Daten von 2008 zu jährlichen Bruttoausgaben von 490 Milliarden Euro führen. Dabei sind die Kosten der Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 180 Milliarden Euro noch nicht berücksichtigt. An diesen Kosten würde das Bürgergeld gar nichts ändern. Insgesamt würde es sich also inklusive Kranken- und Pflegeversicherung jährlich auf 670 Milliarden Euro belaufen. Das entspricht dem heutigen Gesamtaufkommen aus Sozialversicherungsbeiträgen und steuerfinanzierten Sozialleistungen. 41 Damit wären alle Leistungen der Rentenversicherung, die über das soziale Existenzminimum hinausgehen, noch nicht finanziert.
Ein Grundeinkommen selbst auf Sozialhilfeniveau ist also nur finanzierbar, wenn es durch strikte Anrechnungsvorschriften auf anderweitiges Einkommen ergänzt wird. Damit schwindet der Unterschied zur heutigen Struktur der Grundsicherung bis auf einen - allerdings einen wesentlichen: Menschen im erwerbsfähigen Alter haben heute, sofern sie arbeitsfähig sind, nur Anspruch auf Arbeitslosengeld II, wenn sie grundsätzlich zur Arbeitsaufnahme bereit sind. Diese Voraussetzung entfällt beim bedingungslosen Grundeinkommen: »Kennzeichen der Grundeinkommens- beziehungsweise Bürgergeldmodelle ist die Entkopplung des Anspruchs auf monetäre Existenzsicherung vom Arbeitsmarkt. Das Recht auf Bürgergeld besteht unabhängig von der Bereitschaft, eine zumutbare Arbeit anzunehmen.« 42
Befürworter des Bürgergeldes finden es würdelos, dass man Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe beantragen muss, begründen aber
nicht, weshalb dies würdeloser sein soll als einen Bauantrag zu stellen oder einen Antrag auf Gewährung einer Steuervergünstigung. Die Bedingungsfreiheit des Anspruchs stütze dagegen die Menschenwürde, behaupten sie. Hegel sah das ganz anders: »Wird der reicheren Klasse die direkte Last aufgelegt..., die der Armut zugehende Masse auf dem Stande ihrer ordentlichen Lebensweise zu erhalten, so würde die Subsistenz der Bedürftigen gesichert, ohne durch die Arbeit vermittelt zu sein, was gegen das Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft und des Gefühls ihrer Individuen von ihrer Selbständigkeit und Ehre wäre.« Seiner Ansicht nach (wobei er auf die Verhältnisse in England verweist) hat sich »als das direkteste Mittel... gegen Armut sowohl als insbesondere gegen die Abwertung der Scham und Ehre, der subjektiven Basen der Gesellschaft, und gegen die Faulheit und Verschwendung usf., woraus der Pöbel hervorgeht, dies erprobt, die Armen ihrem Schicksal zu überlassen und sie auf den öffentlichen Bettel anzuweisen«. 43
Genau das ist der Punkt: Man muss das garantierte Grundeinkommen unter dem soziologischen und psychologischen Aspekt von »Inklusion vs. Exklusion« sehen. Materielle Exklusion von sozioökonomisch unentbehrlichen Gütern und Diensten kann vermieden werden und wird in Deutschland durch die Grundsicherung mittels Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe verhindert. Je weniger man aber darauf besteht, dass jeder Mensch nach seinen Kräften einen Beitrag leistet, umso mehr
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