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Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen

Titel: Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Sarrazin
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Abgabenerhebung, sondern auch auf die Verwendung der Einnahmen schauen muss. Es lassen sich aber immerhin einige Indizien ausmachen.
    Betrachtet man etwa die Verteilungswirkung der Sozialabgaben, 31 deren Erhebung im Umfang von 462,2 Milliarden Euro (2008) wegen der Beitragsbemessungsgrenze und der Beitragsfreiheit der Selbstständigen sicher als eher regressiv einzustufen ist, so zeigt die Verwendung der Sozialabgaben eine extrem egalisierende Wirkung:
    • Langjährige Beitragszahler in die Rentenversicherung bekommen weitaus weniger zurück, als dem Barwert ihrer Einzahlungen entspricht. 32
    • Die gesetzliche Krankenversicherung gewährt gegen einkommensabhängige Beiträge einkommensunabhängige Leistungen.
    • 80 Prozent der Beitragszahler in der Arbeitslosenversicherung sehen nie einen Gegenwert für ihre Leistungen.
    Verteilungspolitisch neutral bis leicht regressiv (wegen der mit steigendem Einkommen zunehmenden Sparquote) ist die Mehrwertsteuer mit einem jährlichen Aufkommen von 176 Milliarden Euro (2008). Stark progressiv ist dagegen die Einkommensteuer mit einem jährlichen Aufkommen von 175 Millarden Euro (2008):
    • Die unteren 20 Prozent der Einkommensbezieher zahlen praktisch gar keine Einkommensteuer.
    • Die unteren 50 Prozent der Einkommensbezieher zahlen zusammen 6,5 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens.
    • Die oberen 10 Prozent der Einkommensbezieher zahlen dagegen 51,8 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens. 33
    In der Summe wirkt das deutsche Steuer-, Abgaben- und Transfersystem also massiv auf die Einkommensverteilung ein. Aber das führt dennoch nicht dazu, tatsächliche und gefühlte Ungleichheiten wirklich zu beseitigen - was ja ohne Wohlfahrtsdiktatur logisch und tatsächlich auch gar nicht möglich ist. In Deutschland sind hinsichtlich weiterer Umverteilung, aber auch hinsichtlich einer vorsichtigen Reform bestehender Strukturen Gestaltungsgrenzen erreicht, da es nicht mehr gelingt, Widersprüche und Verteilungseffekte von Reformen durch Wirtschaftswachstum zu überdecken.
    Der Zugriffs- und Umverteilungsanspruch des Staates birgt einerseits die Gefahr, dass sich Teile der Besserverdienenden dem System entfremden. Das gefährdet den Machterhalt sowohl bürgerlicher als auch von der SPD geführter Koalitionen. Hier gilt die Mahnung von Giovanni di Lorenzo: »Eine kluge Regierungspolitik achtet darauf, die Interessen jener kleiner werdenden Schicht zu wahren, die für alle Sozialausgaben aufkommen muss.« 34 Andererseits hat die SPD durch den vorsichtigen grundsätzlichen Reformversuch, der unter dem Stichwort Hartz IV stattfand, wesentliche Teile ihrer Anhängerschaft verloren. Das hat zum wohl dauerhaften Auftreten der Linkspartei geführt, deren Klientel man immer nur kurzfristig durch noch mehr Umverteilung befriedigen kann. Dafür fehlt in der Bundesrepublik jedoch die gesellschaftliche Mehrheit. Insoweit kann man sagen, dass das sozialdemokratisch geprägte Gestaltungs- und Regierungsmodell in gewisser Weise in einer Sackgasse gelandet, ein inhaltlich schlüssiger und mehrheitsfähiger Ausweg daraus aber nicht zu sehen ist. 35 Das hat den Bundestagswahlkampf 2009 zu so einem inhaltslosen Eiertanz gemacht.
    Der am weitesten verbreitete Indikator für Wirtschaftskraft und Wohlstand ist das Bruttonationalprodukt. Aussagefähiger ist das verfügbare Einkommen, da Abschreibungen ja zum Verbrauch nicht zur Verfügung stehen, noch aussagefähiger ist der gesamte private Verbrauch, da Nettoinvestitionen und entsprechende Ersparnisbildung immer notwendig sind. Eine absolute Gleichverteilung des privaten
Verbrauchs in Deutschland (gewichtet nach Haushaltsgröße) wäre die theoretisch denkbare Obergrenze einer Umverteilung - allerdings auch nur theoretisch denkbar, denn die Gleichverteilung der Ergebnisse wäre mit den Gesetzmäßigkeiten einer produktiven Volkswirtschaft nicht vereinbar.
    Im Jahr 2007 betrugen die privaten Konsumausgaben in Deutschland 1374 Milliarden Euro, das sind rund 16 400 Euro pro Einwohner beziehungsweise 34 600 Euro pro privatem Haushalt. Das sozioökonomische Existenzminimum, das über Sozialhilfe, Grundsicherung und Arbeitslosgeld II allen garantiert ist, liegt bei etwa 35 Prozent des durchschnittlichen privaten Verbrauchs und, wie bereits dargestellt, je nach Familienstand bei rund 50 Prozent bis 63 Prozent des mittleren Nettoäquivalenzeinkommens. Wollte man, wie vielfach gefordert wird, für alle ein Grundeinkommen etwa in Höhe der

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