Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
befördert man die eigentlich schlimme Exklusion aus den realen Lebenszusammenhängen - die Abkopplung aus dem Leistungsaustausch in der Gesellschaft und den Verzicht auf Quellen berechtigten Stolzes. Der Soziologe Heinz Bude bringt es auf den Punkt:
»Die Überzeugung, soziale Benachteiligungen durch individuell zuerkannte und verabreichte Zahlungen auszugleichen, hat zur Züchtung einer Kultur der Abhängigkeit geführt, die die Leute zu Klienten einer Anstalt anstatt zu Herren über ihr eigenes Leben gemacht hat... Das ursprüngliche Ziel, Hilfe zur Selbsthilfe zu gewähren, hat sich in sein Gegenteil, nämlich in die Verfestigung
von Wohlfahrtsabhängigkeit, verwandelt. Man soll sich nichts vormachen: ›Wer von der Wohlfahrt lebt‹, schrieb schon Tocqueville 1835, ›ist ohne Furcht, aber auch ohne Hoffnung.‹« 44
Die Befürworter eines garantierten Einkommens für alle gehen durchweg von einem Ende der Arbeitsgesellschaft aus, von wachsenden Disparitäten zwischen arm und reich und von wachsenden Unsicherheiten und Uneindeutigkeiten in der individuellen Lebensführung. Sie folgen insoweit Ulrich Beck. 45 In einer Welt, in der Arbeit immer knapper wird, wollen sie die Menschen von der als würdelos empfundenen Notwendigkeit befreien, sich um etwas zu bemühen, das sie doch nicht bekommen werden - nämlich bezahlte Arbeit.
Richtig ist, dass für den Einzelnen die spürbaren Unsicherheiten und Brüche in der globalisierten Weltwirtschaft zugenommen haben. Das schafft Ängste und Unsicherheiten. Generell wachsende Disparitäten zwischen arm und reich lassen sich jedoch nicht belegen, und in den Bereich der Mythen gehört die Behauptung, in den modernen Volkswirtschaften ginge die bezahlte Arbeit aus. Die Zahl der bezahlten Arbeitsstunden pro Kopf der Bevölkerung betrug 1960 in der Bundesrepublik rund 1000, im Jahr 1990, am Vorabend der Einheit, waren es rund 750. Sie liegt gegenwärtig bei rund 700, ein Niveau, das sie seit Jahren hält - kein sehr eindrucksvoller Beleg für das Ende der Arbeitsgesellschaft. Im internationalen Vergleich ist die Arbeitsmenge in Deutschland ungewöhnlich niedrig. 46 In der Schweiz und in den USA, beide reicher als Deutschland, ist die Menge an bezahlten Arbeitsstunden pro Einwohner um 30 Prozent beziehungsweise um 35 Prozent höher als in Deutschland.
Das Argument, die Arbeit werde knapp, ist übrigens recht alt. Erich Fromm ging bereits 1966 in seiner intelligenten Analyse der »psychologischen Aspekte eines garantierten Einkommens für alle« von der Annahme aus, dass »für einen ständig wachsenden Teil unserer Bevölkerung überhaupt keine Arbeit vorhanden« sei. 47 Darin irrte er zwar, aber er arbeitete hellsichtig heraus, dass die Freiheit vom Arbeitszwang für viele auch die Sinnfrage stellt. Er verstand das garantierte Einkommen als einen Einstieg in eine Gesellschaft, die
den materiellen Konsum begrenzt und durch Veränderung des Menschen an anderer Stelle sinnstiftend wirkt. Nur indem man verhindert, dass andere wesentlich mehr haben, kann das garantierte Einkommen einen Beitrag zu mehr Zufriedenheit leisten:
»Der heutige Mensch hat einen grenzenlosen Hunger nach mehr Konsum. Das hat folgende Konsequenzen: Da die Gier nach Konsum keine Grenzen mehr kennt und in absehbarer Zeit keine Wirtschaft genug produzieren kann, um einem jeden einen unbegrenzten Konsum zu ermöglichen, kann es (psychologisch gesehen) niemals einen echten Überfluss geben, solange die Charakterstruktur des homo consumens vorherrschend ist. Der Gierige wird immer Mangel leiden, da er nie genug bekommt, ganz gleich, wie viel er hat... Das bedeutet aber, dass die, welche auf dem Niveau des garantierten Einkommens leben würden, sich frustriert und minderwertig fühlten und dass die, welche mehr verdienen, Gefangene der Umstände bleiben würden, weil sie Angst hätten, die Möglichkeit zu einem maximalen Konsum einzubüßen. Aus diesem Grund glaube ich, dass das garantierte Einkommen nur gewisse (wirtschaftliche und soziale) Probleme lösen würde, dass es aber nicht die erwünschten radikalen Wirkungen hätte, wenn wir nicht gleichzeitig das Prinzip des maximalen Konsums aufgeben.« 48
Fromm entwickelt sodann das utopische Bild einer gelenkten Wirtschaft, in der vom privaten Konsum auf öffentliche Güter umgestellt wird und letztlich der Mensch geändert wird: »Nur mit der Umwandlung des homo consumens in eine produktiv-tätige Persönlichkeit wird der Mensch Freiheit als echte
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