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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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Nacht.
    Scheunen gibt es in Dollbergen genug. Gleich beim ersten Bauernhof klopfe ich an die Tür. Ein altes Mütterchen öffnet. Ich sage: »Guten Abend, ich bin auf der Wanderschaft und wollte höflich fragen, ob ich in der Scheune schlafen darf .« Nach kurzem Stutzen schüttelt die Alte ihren kleinen, schrumpeligen Kopf und brummelt etwas von einer Base aus Nordfriesland, der »auch so Wandervolk« beim Rauchen die Scheune überm Kopf angezündet hat, »gleich nach dem zweiten Krieg«. Als ich vorgebe, Nichtraucher zu sein, winkt sie nur ungläubig ab: »Das sagen sie alle, und dann steckt doch die Pip im Büdel .« Überführt steuere ich den Nachbarhof an, wo mich ein feister Bursche vom hohen Traktor herunter abspeist: »Geh doch malochen, dann brauchst keine Scheune .« Immerhin, vom Arbeitslager ist nicht die Rede.
    Der Regen wird stärker. Dachrinnen beginnen zu lecken. Das stumpfe Pflaster fängt an zu glänzen. Vor einem kleinen Lebensmittelladen stelle ich mich kurz unter. Eine Frau kommt mit vollen Tüten aus dem Geschäft. Sie trägt nur ein dünnes Kleid, auch sie scheint das Wetter überrascht zu haben. Sie hat es eilig. Ich gehe auf sie zu und stelle meine Frage. Ihre Scheune ist leer, ohne Stroh, ohne Heu, antwortet sie mit ängstlich zum Himmel gerichteten Augen. Ihr Mann hat die Landwirtschaft aufgegeben, er arbeitet in Peine in der Fabrik, und übrigens gibt es dort auch eine Jugendherberge. Danke für den Tip. Nach Peine sind es noch zwanzig Kilometer. Entmutigt gehe ich durch die Dorfstraße. Zwei Knaben folgen mir auf Fahrrädern in vorsichtiger Distanz. Beim nächsten Bauernhaus macht schon niemand mehr auf. Ein Fremder im Dorf, das spricht sich schnell herum. Was kommt denn der ausgerechnet zu uns? In der Scheune schlafen, wo gibt’s denn heute noch so was? Ist der vielleicht ein Krimineller auf der Flucht? Rolläden runter! Feindseligkeit starrt aus jeder Hofeinfahrt. Mir fehlt der Mut weiterzufragen , die Angst vor neuen Zurückweisungen ist schon zu groß, mein Selbstvertrauen schwindet. Die Lage erscheint mir ausweglos. Das Regenwasser färbt Feldmann den Pelz dunkelbraun. Auch er hat Hunger, auch er ist hundemüde. Hat denn keiner ein Einsehen mit uns beiden? In einer solchen Situation hilft eigentlich nur noch der Gang zum Dorfpfarrer. Er muß uns doch helfen, schon von Amts wegen. Einen der Burschen, die immer noch hinter uns herschleichen wie Emils Detektive, frage ich, wo denn hier der Pastor wohnt. Moorblick 11, immer geradeaus, antwortet eine Stupsnase überraschend präzise, er ist wohl sein Konfirmand.
    » Morgener « steht da an der Klingel eines häßlichen Neubaus. Gleich zweimal drücke ich den Knopf, Pfarrer Morgener soll wissen, die Sache ist dringend. Feldmann schnuppert am Briefschlitz. Beide lauschen wir in das Innere des Hauses. Alles bleibt still. Ist niemand zu Hause? Ich klingele noch einmal. Endlich eine Bewegung hinter den Glasbausteinen neben der Tür. Eine Hand greift zum Schloß, dreht den Schlüssel zweimal herum und verschwindet wieder. Ich bin platt, ich bin wütend, ich möchte ihn steinigen, diesen Pfarrer Morgener , nach gutem alttestamentarischem Brauch. »Klopfet an, so wird euch aufgetan«, spricht der Herr. Denkste! Zugesperrt hat er, im wahrsten Sinne des Wortes sich mir verschlossen, ohne auch nur zu fragen, was ich will. Verflucht sei er, der Teufel soll ihn holen, und mit ihm das ganze Dollbergen!
    Wie ein Ausgestoßener stehle ich mich durch den Regen aus dem Dorf. Im letzten Abendlicht finde ich noch einen verwaisten Viehunterstand, der zwar höllisch stinkt, aber Schutz bietet gegen Nässe und Wind. Auf getrockneten Kuhfladen breite ich meinen Schlafsack aus. Feldmann rollt sich gleich auf meinem Fußende zusammen. Schwere Tropfen prasseln wie Kieselsteine auf das Dach. Hoffentlich hält es dicht. Vor dem Einschlafen erscheint mir die Wetterkarte der »Tagesschau« als Horrorgemälde: »Das Tief mit seinem Kern über der Biskaya bewegt sich nur langsam nach Norden und bleibt auch morgen für ganz Deutschland wetterbestimmend. Die Temperaturen fallen auf acht bis zehn Grad, in ungünstigen Lagen ist mit leichtem Nachtfrost zu rechnen. Mittlere Winde aus West bis Nordwest, an der See stürmisch auffrischend. Die weiteren Aussichten: für die Jahreszeit zu kühl.«

    Erst beim Anblick zweier großer, dunkler Mandelaugen geht die Sonne für mich wieder auf. Es ist der nächste Abend, weit über dreißig schleppende Kilometer liegen zwischen mir

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