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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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auch jetzt noch vermieden werden kann, dann werden beide vielleicht einen neuen Partner finden, an dem sie sich wieder festhalten können wie Schiffbrüchige an einer Planke, und alles wird von vorn beginnen.
    Wie ein Film läuft das abgedroschene Klischee von der unheilbar-heilen Bürgerwelt vor mir ab, während mir Monika ihre Geschichte erzählt — eine Geschichte, die ja auch nur eine ganz normale Stereotype des Drogenlebens ist, hundertmal beschrieben, und doch einzigartig, fast unglaublich, wenn diese Frau sie mir schildert. Abends im Bett frage ich mich, ob mein Trip nicht auch zur Droge werden kann, von der ich eines Tages nicht mehr runterkomme. »Die Straße und das Meer geben keinen mehr her«, das war auch so ein Spruch von Gustav, dem Tippelbruder aus Paderborn, und der wußte, wovon er redete.
    Eine Konfirmandenklasse aus Berlin trifft ein, fast alles frühreife Mädchen, die ihren vollbärtigen Pfarrer anhimmeln. Abends sitzen sie in der strohleeren Scheune, wo die »Feinbein«-Band ihre neuen Stücke einübt. Gespielt wird natürlich harter Rock, selbst komponiert, kein Mensch versteht, was Willi da Englisches singt, vor allem gegen das Schlagzeug hat seine Stimme keine Chance. Aber die Gesichter der Zuhörer glühen vor Begeisterung, einige Mädchen fangen an zu tanzen, der junge Pfarrer lächelt milde, es gibt eine Flasche Cola pro Person.
    Länger als eine halbe Stunde halte ich den Lärm jetzt nicht aus. Die Musik scheint mir zu aufdringlich, die Menschen zu eng auf meiner Pelle, ich bekomme Platzangst. Du bist hier falsch, spüre ich, Hamburg hat dich wieder mal eingeholt. Ich sehne mich nach dem Schweigen des Weges, das ich bisher noch nicht gefunden habe. Genug gegessen, genug geträumt im weichen Federbett — wenn man das alles wieder hat, wenn es schnell wieder zur Gewohnheit wird, dann besitzt es kaum noch einen Wert, und altes Laub ist auch keines mehr da. Zeit zum Weitergehen.
    In aller Frühe breche ich auf, mit zugeheilten Füßen und wohlversorgt mit ein paar belegten Broten in der Jackentasche. Bereits hinter der ersten Kurve ist mir so, als sei ich schon immer gegangen, als könnte ich gar nicht mehr anders. Die Weite vor den Augen läßt mich tief durchatmen. Der feine Heidesand knirscht vertraut unter meinen Sohlen. Die Sonne ist noch nicht heraus, über dem Wald am Horizont liegt ein grauer Morgendunst. Zum erstenmal sehe ich halbgeschlossene Löwenzahnblüten, die sich im Laufe des Morgens langsam öffnen.
    Ein Waldpfad führt dicht an einer schnurgeraden Bahnlinie nach Süden. »Feldmann, Fuß !« rufe ich aus Angst, der Hund könnte über die Gleise springen. Feldmann hört aufs Wort und geht mir nicht mehr von der Seite. Einige Tage schon wage ich es, ihn dort von der Leine zu lassen, wo nicht allzu dichter Verkehr herrscht. Das geht aber nur, wenn er mir in kritischen Situationen blind gehorcht. Zweimal gab es Hiebe mit dem Wanderstock — jetzt folgt er meinen Befehlen »Fuß«, »Platz« und »Voran«. Nur so können wir miteinander wandern, nur so kann jeder sein Tempo gehen, ohne daß einer den anderen behindert. Bis ich einen Acker überquert habe, hat Feldmann ihn längst mehrfach im Zickzack vermessen, bis ich am Bahndamm bin, ist Feldman längst die Böschung hinauf. Also: »Feldmann, Fuß!«
    Ein Zug schleicht sich wie eine Katze geduckt und lautlos heran, wird immer schneller, immer größer, und als er dann mit einem Satz da ist und an uns vorüberjagt, bebt der Boden, und für Sekunden stirbt alles Lebendige. Ich würde zu gern wissen, wohin die Reise geht, aber die weißen Schilder an den Waggons sind nicht zu entziffern. Aus einem Fenster sehe ich flüchtige Blicke. »Platz nehmen zum zweiten Mittagessen .«
    Ich sitze im Speisewagen, bestelle vom Teuren das Teuerste, geht ja sowieso alles auf Spesen. Sollte heute Montag sein, lese ich den Spiegel, so wie der Herr am Nebentisch, ein junger Geschäftsmann in Schlips und Kragen. Ich trage wie immer Jeans und Rollkragenpullover, darin fühle ich mich sicher, weil ich nicht so genau einzuschätzen bin wie der da drüben. Unter Termindruck stehen wir wohl beide: heute nachmittag in Frankfurt, morgen weiter nach München, auf dem Rückweg in Köln beim Presseamt der Stadt die Unterlagen abholen, am Wochenende schreiben. Der jugoslawische Ober bringt den Saftbraten. Beim Kaffee döse ich aus dem Fenster in die fliegende Landschaft. Irgendwann wird mein Blick für den Bruchteil einer Sekunde festgehalten von einem

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