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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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und dem Pfarrhaus von Dollbergen, und nun diese Augen! Sie gehören Barbara, und ihre Mutter kocht mir gerade vor dem großen Wohnwagen eine Suppe mit viel Gulasch. Ich bin bei Zigeunern gelandet, die gleich hinter dem Bahndamm der Stadt Hildesheim, zwischen Schrottplatz und Straßenverkehrsamt, ihr Lager aufgeschlagen haben. Es brauchte nicht vieler Worte, um dem Sippenältesten , einem gedrungenen Schnauzbart im abgetragenen Pepita, meine Lage klarzumachen. »Du hast Hunger«, sah er mir an, schon bevor ich meinen Mund aufbekam, »Mutter, mach ihm was zu essen .« Keine mißtrauischen Fragen, keine faulen Ausreden, klare Verhältnisse, und dazu gehörte auch die Feststellung: »Wir sind Sinti, keine Zigeuner !«
    Mutter bringt mir die Gulaschsuppe unter das Vorzeit. »Mir kenn das, rumziehn , ohne was zu beißen«, sagt sie mit traurigem Lächeln, »oft genug schlagen uns die Gadschos , deine Leut , beim Hausierengehen die Tür vor die Nase .« Sie handelt mit Kurzwaren, Gummibändern, Spülbürsten und Heftpflaster, der Meter für fünf Mark. Ihr Mann hat ein »Scherenschleifgeschäft« im Kofferraum seines großen, rostigen Mercedes-Benz. Der motorgetriebene Schleifstein ist dort fest montiert und läuft über die Autobatterie. Im Land der Seßhaften scheint der mobile Betrieb recht gut zu florieren, denn immerhin ernähren auch vier Brüder des Ältesten mit solchen Kofferraumschleifereien ihre großen Familien.
    Das Gulasch tut gut. Feldmann läßt meinen Löffel nicht aus den Augen. Er soll später die Reste bekommen. »Warum hast du denn den Hund mit«, fragt mich die schönäugige Tochter Barbara durch das hochgeklappte Wohnwagenfenster, »hast denn gar keine Familie ?« Von meinen Eltern lebe ich schon lange getrennt, antworte ich, das ist ganz normal bei uns » Gadschos «. Das Mädchen blickt mich mitleidsvoll an. Daß ich durch das Land zigeunere, dafür hat niemand mehr Verständnis als sie, aber es alleine zu tun muß für sie schlimmer sein als eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung. »Ohne meine Familie kennt ich nicht leben«, sagt sie mir, »wo die ist, bin ich zu Hause .«
    Barbaras Zuhause auf vier Rädern hat alles, was ein bürgerlicher Haushalt zu haben hat: Blumen im Fenster, Einbauküche, Spiegelkonsole und einen Farbfernseher vor der Sitzgarnitur, die den Eltern nachts als Bett dient. Alles blitzt vor Sauberkeit und ist eine Nummer kleiner als gewöhnlich — eine Art mobile Puppenstube für Erwachsene. Fließend Wasser und der Anschluß ans Stromnetz fehlen allerdings. Der Fernseher ist batteriebetrieben, das Wasser holt man sich eimerweise von der öffentlichen Zapfstelle am Bahndamm. Wie überall in der Welt, wo das Wasser noch nicht aus der Wand kommt, ist dies auch hier Frauenarbeit, aber Barbaras Mutter nimmt mein Hilfsangebot dankbar an und läßt mich für sie und ihre vier Schwägerinnen die schweren Aluminiumkübel schleppen.
    Derweil spielen die Männer Gitarre. Der Clanchef winkt mich zu sich. Er will wissen, ob ich schon 18 bin und Auto fahren kann. Ich nicke verdattert. »Dann kannste bei uns anfangen«, sagt er prompt, »kriegst auch immer gut zu essen .« Übermorgen schon soll es ins »Westfälische« gehen, vielleicht nach Bielefeld, vielleicht nach Münster, je nachdem, wo man die »Landfahrer« dulden wird, und da könnte ich doch als Fahrer und Hilfsarbeiter beim Scherenschleifen aushelfen. »Westfalen ist leider nicht meine Richtung«, lehne ich vorsichtig ab und bin gerührt und erschreckt zugleich, wie ernst man mich hier als Vagabunden nimmt. »Na ja, überlegen kannst es dir ja noch .«
    Als es dunkelt, wird ein kleines Feuer gemacht, und die Zigeunerromantik ist perfekt. Fehlt jetzt nur noch, daß Barbara mit großen goldenen Ohrringen und tiefem Dekollete vor uns einen Csardas tanzt. Doch sie bleibt wie alle Frauen in ihrem Wohnwagen. Nach ein paar Musikstücken wechseln die Gitarren, jeder hier in der Runde beherrscht das Instrument, selbst die Halbwüchsigen. Gesungen wird in der Sprache der Sinti, einen Refrain aber verstehe ich:

    »...so nur soll es sein,
    niemals ganz allein,
    sollst aus Freude oder Kummer
    deinen Wein nie einsam trinken,
    so nur soll es sein...«

    »Warum eigentlich seid ihr immer unterwegs«, frage ich den Mann neben mir während einer kurzen Gesangspause, aber er zuckt nur verständnislos mit den Achseln und echot »warum ?« . Ebenso schlau hätte ich einen Bäcker fragen können, warum er backt. Zigeuner zigeunern, es hält sie

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