Deutschland umsonst
etwas zwischen mir und den weit geöffneten himmlischen Schleusen. Aber da war nichts als der grüne Traktor in der Blumenkohllandschaft mit Arnim am Steuer, der mir gleich den Schlag öffnete und ganz trocken sagte: »Na, komm schon rein .«
Freundlich wie der zwanzigjährige Lehrjunge ist auch sein Chef, der Bauer Heinrich Drepper . Er hat mich gleich an seinen Abendbrottisch gebeten. Meine Bitte, in der Scheune schlafen zu dürfen, schlug er entrüstet aus: »Wir haben Betten genug, wir sind hier doch nicht bei armen Leuten«.
Ich bin begeistert von diesem Mann. Gerade habe ich den einen Hof mit soviel Wut im Bauch verlassen, habe zornig die gesamte westfälische Bauernschaft verflucht, da sinke ich schon wenige Stunden später in ein gemachtes Bauernbett und erzähle Arnim die Geschichte vom bösen Rumpelstilzchen, von der einsamen Krämerstochter , vom unchristlichen Pfarrer aus Dollbergen, von meiner Tätigkeit als Doppelagent bei der britischen Armee. Ich habe, so will es mir jetzt scheinen, in den sechs Wochen Wanderei mehr und viel unmittelbarer erlebt als in sechs Jahren Journalismus.
Dafür weiß Arnim, dieser Inbegriff an Bodenständigkeit, der mit seinen zwanzig Jahren bisher kaum aus seinem Dorf herausgekommen ist, vieles zu erzählen vom Leben der Seßhaften. Was er mir über die Zustände hier auf dem Hof berichtet, ist weit weniger überschwenglich als mein erster Eindruck. »Ich persönlich kann nicht klagen«, sagt der junge Mann, »ich lerne ne Menge und werd reell behandelt. Aber es gibt auch Leute hier, die haben nichts zu lachen .« Diese Leute sind vor allem Erhard, der Melker, und Heinz, der Schweineknecht. Sie werden nach Arnims Auskunft »behandelt wie der letzte Dreck«, müssen zwischen zehn und zwölf Stunden am Tag arbeiten und bekommen dafür siebzig Mark pro Woche. Der Lohn ist genauso bemessen, daß sich die beiden davon einmal in der Woche total betrinken können, Erhard am Samstag, Heinz am Sonntag, und den Rest der Woche sind sie pleite. Ist einer von ihnen aber am nächsten Arbeitsmorgen immer noch blau, was vorkommt, wenn bei Hochzeiten oder Beerdigungen in der Dorfkneipe das Freibier reichlich fließt, dann wird ihm als Strafe sechs Tage lang der Bohnenkaffee zum Frühstück gestrichen, dann gibt es nur Muckefuck.
Auf den Schultern dieser zwei Knechte ruht der ganze Betrieb, »ohne die müßte der Bauer dicht machen«. Die Stallungen sind total veraltet, teure Maschinen werden nicht angeschafft, Heinz und Erhard arbeiten selbst wie Maschinen. Da ist es kein Wunder, daß die beiden in ihrer Freizeit nicht zur Besinnung kommen wollen.
Am Morgen sitzt Erhard vor dem Frühstückstisch in der Küche. Es riecht nach Bohnenkaffee. Der Knecht trägt ein dunkelblaues Jackett über einem dunkelblauen Hemd, denn es ist Sonntag, sein »blauer Tag«. Und tatsächlich ist er völlig betrunken, was ich aber erst merke, als er mit schwerer Zunge dem Kanarienvogel im Käfig neben ihm am Fenster einen »verdammt guten Morgen« wünscht. »Du bist ein armer Vogel«, lallt er vor sich hin, »deine Flügel helfen dir einen Scheißdreck da drin in deinem Käfig, aber ich flieg heut aus, heut ist Sonntag, da könn mich meine Küh mal am Arsch lecken«, sagt’s , greift sich ins Jackett und schüttet dem Vogel einen guten Schuß aus dem Flachmann ins Trinkwasser. »Prösterchen.«
Im Eilschritt durch Müschede , Holzen, Lendringsen , immer Richtung Ruhrgebiet. In Menden: ein gutes altes Dreipfundbrot vom Bäcker und vom Metzger vier Schweinepfoten für meinen Begleiter. Hier sagen die Leute » Wuast « und » Kiache «, das klingt schon nach Doatmund und Gelsenkiachen , aber auch sonst spüre ich die Nähe zum Pütt: Pommesbuden an jeder zweiten Straßenecke, wo Liebesperlen an die Kinder und Bochumer Schlegelbier an die Väter verkauft werden, breite Straßen, auf denen sich mehr Lastwagen als PKWs drängen und die frische Sauerlandluft kaum eine Chance mehr hat.
In Drüpplingsen an der Ruhr ist Schützenfest. Grüne Papierfähnchen und Girlanden nehmen den eintönig weißverputzten Häusern des Dorfes nichts von ihrer Gesichtslosigkeit. Die Schnapsbrennerei Bimberg hat zur Feier des Tages ihren Tag der offenen Tür. Menschenschlangen vor der Probierstube. Mir schmeckt der Johannisbeerlikör am besten, obwohl Korn, Kirschwasser, aber auch Aquavit nicht zu verachten sind. Anne Bimberg , Tochter des Hauses, füllt mich innerhalb einer halben Stunde so restlos ab, daß mir ein gradliniges
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