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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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den Käfig stecken, um nicht gleich gebraten zu werden, aber mir bleibt keine andere Wahl, der Regen treibt mich unter das Vordach des alten Gebäudes. In einem offenen Abstellschuppen reißt ein wilder Schäferhund so wütend an seiner Kette, daß ich fast Angst habe, er stranguliert sich selbst. Feldmann drückt sich ängstlich an mein Bein. Bis auf den jähzornigen Wachhund rührt sich lange nichts auf dem Hof. Erst als der Regen so richtig herunterschüttet, öffnet sich eine Stalltür, und ein kleines, verwachsenes Männlein humpelt heraus. Sein Kopf steht schief, der Buckel auf seinem Rücken ist kürbisgroß. Rumpelstilzchen, denke ich sofort, als ich den Gnom sehe, wenn er auch schon etwas älter ist als im Märchen. »Was ist los ?« fragt er so unerwartet herrisch, daß ich meinen ersten Eindruck, dies sei hier der Knecht, gleich korrigiere. Nur die hohe, krähende Stimme entspricht genau der mickrigen Erscheinung. »Nichts Besonderes«, sage ich möglichst undramatisch, »ich bin bloß in diesen Regen geraten und brauche eine trockene Ecke und etwas Heu zum Schlafen — Nichtraucher bin ich auch .« Das Bäuerchen mustert mich von unten herauf, was ihm nicht ganz leicht fällt, denn er ist nicht nur klein, sondern scheint auch noch kurzsichtig zu sein. »Zupacken kannst du ?« fragt er skeptisch. »Zupacken kann ich«, gebe ich zurück. »Dann bring dein Gepäck hinauf in die Scheune, binde den Hund fest, im Pferdestall ist Arbeit .«
    Der Bucklige hat nicht gelogen. Im Stall ist Arbeit, jahrelang scheint hier nicht ausgemistet worden zu sein. Obwohl es schon spät ist, mache ich mich ans Werk und forke den steinhart festgetretenen Dung auf den Misthaufen. Endlich kommt mein Arbeitgeber und funzelt mit einer Taschenlampe in den Stallecken herum, um zu sehen, wie gründlich ich zugepackt habe. »Jetzt kannst du schlafen gehen«, sagt er anscheinend zufrieden, »morgen ist auch noch ein Tag .« Erschöpft und ohne zweites Abendbrot, das ich nach dieser Arbeit spielend verdrückt hätte, krieche ich in meinen Schlafsack, fest entschlossen, morgen das Weite zu suchen.
    Am nächsten Morgen aber schüttet es so heftig, daß die Dachpfannen über mir dröhnen und ich froh bin, im Trockenen zu sein. Rumpelstilzchen kommt wie erwartet mit dem ersten Hahnenschrei. Ohne ein Wort zu verlieren, stellt er mir einen Teller mit ziemlich dünn bestrichenen Mettbroten auf den Rucksack. Es herrscht eine stillschweigende Übereinkunft zwischen uns: Solange es regnet, bin ich ihm ausgeliefert, er ist mein Herr, ich bin sein Knecht, im Stall liegt noch Mist für Wochen. Ich weiß also, was ich zu tun habe. Irgendwann im Laufe des Vormittags wage ich die Frage, wann es etwas zu essen gibt. Der Zwerg, der mir seinen Namen nicht von ungefähr verschweigt (»Ach wie gut, daß niemand weiß...«), murmelt nur beiläufig: »Alles zu seiner Zeit .«
    Nach Stunden ruft eine Frau, vielleicht seine Mutter, vielleicht seine Tochter, durch die Hintertür, ich könnte reinkommen. In der kargen, menschenleeren Stube, deren einziger Schmuck ein paar verstaubte Plastikblumen neben einem alten Radiogerät sind, steht eine Schüssel Bohnen mit wenig Speck auf dem Tisch am Fenster. So wird der Hexerich seinen Hänsel aber nicht schlachtreif kriegen, denke ich beim Essen und blicke flehend durch die Scheiben nach draußen, wo der Regen das Land unermüdlich grau schraffiert. Ich fühle mich wie ein Leibeigener und könnte heulen vor Wut. Grimmig schaufle ich die Bohnen in mich hinein, statt meiner Füße haben jetzt die Hände Blasen. Aber anmerken lasse ich mir meine Verzweiflung und meinen Haß nicht, statt dessen schufte ich den ganzen Tag wie ein Pferd.
    Noch zweimal gibt es Bohnen zum Mittag, bis der Regen endlich aufhört. Noch am Abend schnüre ich meine Sachen zusammen und stehle mich ohne Abschied eilig vom Hof, voller Angst, der böse Zwerg könnte mir einen Blick der Verwünschung nachsenden.
    Ein paar Kilometer weiter, und schon liege ich in einem herrlichen Doppelbett, zusammen mit einem gewissen Arnim Klotzbücher. Arnim ist landwirtschaftlicher Lehrling auf einem Großbetrieb mit vierzig Kühen, sechshundert Mastschweinen, viel Weide- und Ackerland und einem über zehn Hektar großen Blumenkohlfeld, auf dem wir uns auch kennengelernt haben. Ich war gerade im Begriff, mich von einem heftigen Wolkenbruch wieder einmal windelweich regnen zu lassen, suchte verzweifelt nach Schutz, einem Baum, einem Hochstand, einer Viehhütte — irgend

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