Deutschland umsonst
keinem sehe ich ein Lächeln. Manche zeigen sich im Gegenteil sichtbar verärgert, wenn sie mich vor sich entdecken. Weg da, du Idiot, scheinen sie zu fluchen, und zwischen mich und die Blechschleudern paßt dann keine Handbreit mehr. Vor Geseke endlich ein Schotterweg, auf dem ich in den Schutz des Waldes flüchte. An einem Bächlein ziehe ich mich aus, steige durch das Farnkraut ins klare Wasser, lege mich der Länge nach in das sandige Bachbett, und einen Moment lang lasse ich alles mit mir geschehen: Sanft streichelt das kühle Rinnsal mit zärtlichem Murmeln an mir entlang. Mein Körper ist zur Insel geworden, er dampft wie ein tropischer Urwald. Selig blicke ich ins funkelnde Blätterdach über mir und spüre, wie die Welt sich dreht. Nach einer Weile rolle ich mich träge auf den Bauch. Unter der friedlich dahingleitenden Wasseroberfläche tanzen kleine, nackte Krabben in der Strömung. Ein schwarzer Wurm, kaum dicker als ein Haar, schlängelt eine feine Spur in den hellbraunen Sand. In der Gabelung zwischen meinem Daumen und Zeigefinger fühlt er sich wohl und rollt sich ein. Jetzt bin ich eins mit der Natur — und will nichts wissen von der B 1, die nur wenige Hundert Meter von mir entfernt vorbeidröhnt, nichts von den gigantischen Traktoren, die mit ihren Pestiziden das schon hohe Getreide links und rechts der Straße vergiften, nichts von den Hochspannungsleitungen, die über den Bäumen knistern.
Nach meinem Bad lasse ich mich am Waldrand von der Abendsonne trocknen. Ein kleines Feuer heizt das Teewasser. Ich war gerade ein wenig eingeschlafen, da knackt es plötzlich hinter uns im Unterholz. Feldmann springt auf, bellt und fegt auf eine Gestalt zu, die ein Gewehr schon im Anschlag hat. »Halt«, brülle ich entsetzt und verdecke mit dem Schlafsack meine Blöße, »nicht schießen, Feldmann, Fuß, nicht schießen !« Nur widerwillig folgt der Hund meinem Befehl. Immer noch knurrend, setzt er sich neben den Rucksack. Die Flinte unterm Arm, kommt die Gestalt näher, bleibt aber in respektvoller Distanz zu Feldmann und mir. Es ist der Jagdaufseher, in waidgerechter Lodentracht, der Rauch des Feuers muß ihn angelockt haben. Mißtrauisch mustert er unser Lager, und ich spüre, wieviel Mühe es ihn kostet, uns einzuschätzen. Gammler? Wanderer? Terrorist? — schwer zu sagen bei den beiden. Feuermachen, erklärt er mir, ist gefährlich, »vierzig Hektar Wald sind viel Brennholz«. Ich wäre nicht der erste, der aus Unachtsamkeit eine Katastrophe verursacht. Überhaupt hat man hier recht viel zu leiden unter dem »Unzeug« aus der Stadt. Erst im letzten Jahr hielt sich ein Polizistenmörder aus Braunschweig in diesem Waldstück versteckt, und vor dem Sittenstrolch, der in den fünfziger Jahren hier sein Revier hatte, »zittern unsere Frauen noch heut«.
Im Land, wo alle Hunde Feldmann heißen, im Sauerland, hier werde ich schon seit Tagen 15 Mark einfach nicht los. Trotz aller Berge komme ich mir vor wie einst in der Lüneburger Heide, denn mit Hund, Stock und Rucksack passe ich mal wieder peinlich genau in die Landschaft. Gleich hinter Brilon gerieten jedenfalls drei Frauen vom sauerländischen Gebirgsverein, rüstige Damen in Knickerbockern und Anorak, in helle Begeisterung, als ich ihnen auf einem Waldweg begegnete. »Daß es so etwas noch gibt«, staunten die drei Wandersfrauen , und eine putzte sich ungläubig ihre Brillengläser. »Nur weiter so«, wurde ich gelobt und bekam, ob ich wollte oder nicht, von jeder ein Fünfmarkstück in die Hand gedrückt: »Damit marschiert es sich doch besser durch unser schönes Vaterland .«
Nun war ich im Vorübergehen reich geworden, die drei Münzen klimperten unruhig in meiner Hosentasche herum und ließen mich tagelang nicht mehr in Ruhe. Gibst du sie jetzt für 15 Tafeln Schokolade aus (nach denen es mich besonders vor dem Einschlafen gelüstet) oder für eine halbe Flasche Asbach plus ein Päckchen Tabak (der zu Ende geht) oder für neue Schuhsohlen (die spürbar dünner werden) oder für ein Bett in einer billigen Pension (von dem ich immer mal wieder träume) oder spielst du den Gönner und schenkst sie einfach drei verrotzten Dorfgören.
Vor der Gaststätte »Stimm-Stamm« bei Meschede entschied ich mich dann für das Naheliegendste : eine gute warme Mahlzeit. Ich wollte mich gerade an einen freien Tisch setzen, da wurde ich auch schon an den Stammtisch gewunken, und fünf alte Bauern spendierten mir ein Bier nach dem anderen. »Daß es so etwas noch
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